Jetzt, da die akute Gefahrenlage in den Katastrophengebieten gebannt ist, beschäftigt die Bevölkerung genau diese Frage. Nicht nur Meteorologen haben vor der Flut gewarnt. Die britische Hydrologin Hannah Cloke wirft Deutschland ein „monumentales Systemversagen“ vor. Vier Tage vor dem Hochwasser hätten die deutschen Behörden über das europäische Frühwarnsystem EFAS genaue Hinweise bekommen, sagt die Hochwasser-Expertin der „Times“ in London. Das Rheinland sollte nach Satellitendaten von „extremen Überschwemmungen“ getroffen werden, vor allem entlang der Erft und der Ahr und in Städten wie Hagen und Altena. Cloke selbst hat an der Entwicklung von EFAS mitgearbeitet. Ziel sei, Menschen früh genug vor Katastrophen zu schützen. Eigentlich.
Die Todeszahlen zeigen: Die dringlichen Warnungen sind nicht bei der Bevölkerung angekommen. In Sinzig in Rheinland-Pfalz sind zwölf Bewohner einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen ertrunken. Laut ZDF habe es eine Evakuierungsmeldung für Gebiete 50 Meter links und rechts der Ahr gegeben. Das Wohnheim lag rund 200 Meter entfernt.
Wo ist die Warnkette gebrochen? In der Politik ist nun darüber eine Debatte entbrannt. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse, für die „Bundesinnenminister Seehofer* unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt“. Die FDP-Fraktion hat eine kurzfristige Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Seehofer müsse darlegen, was die Bundesregierung wann genau wusste – und was daraufhin unternommen wurde.
Seehofer (CSU) ist daraufhin zum Gegenangriff übergegangen. Manches an der derzeit geäußerten Kritik sei einer „ganz billigen Wahlkampfrhetorik“ zuzuordnen, sagt er bei einem Besuch an der Steinbachtalbrücke in Euskirchen. Dies sei fast schäbig. Der Innenminister ist gestern in die schwer betroffenen Gebiete gefahren. Für ihn hätten die Meldewege von Seiten des Bundes funktioniert. Auf der Ebene der Bundesländer wolle er sich nicht dazu einmischen.
Regierungssprecherin Martina Fietz räumt ein, es gebe beim Katastrophenschutz „kontinuierlichen Verbesserungsbedarf“. Aber: Nach dem Grundgesetz seien dafür die Länder zuständig.
Der Schwarze Peter wird reihum weitergegeben. Auch das Innenministerium in NRW weist die Schuld von sich. Es habe die Unwetterwarnungen des DWD an die Städte und Kreise weitergeleitet. Über Schutzmaßnahmen sei vor Ort zu entscheiden, sagt ein Sprecher. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt bei Bild live, dass der Katastrophenschutz in seinem Land „keine grundsätzlichen Probleme“ habe. Es habe aber auch nicht alles „100-prozentig funktioniert“.
Karl Lauterbach (SPD) sagt zur Rheinischen Post: „Beim Katastrophenschutz sind wir genauso schlecht vorbereitet wie beim Pandemieschutz.“ Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagt dem Spiegel, man brauche „eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht.“ Sie fordert keine Zentralisierung, aber eine „Zentralstellenfunktion“ für den Bevölkerungsschutz – wie bei der Bundespolizei.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagt, dass es nicht um Schuldzuweisungen gehe. Die Flut sei in einer unerwarteten Jahreszeit gekommen, sodass „die Menschen nicht Stunden oder Tage hatten, um sich vorzubereiten“. Meteorologe Dominik Jung ist schockiert über diese Aussage. „Total daneben“, findet er. Kathrin Braun mit dpa/afp (*Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA)