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Zehn Jahre Fukushima: Geisterstadt und Atompolitik - wie der Super-GAU die Welt verändert hat

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Von: Andreas Schmid

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Meterhohe Wellen überfluten einen Deich in der Nähe der Mündung des Hei-Flusses.
Bei Weitem nicht das ganze Ausmaß der Katastrophe: Vor zehn Jahren verursachten ein Erdbeben und ein Tsunami einen Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima. © Mainichi Newspaper/AFLO/EPA/dpa

Zehn Jahre Fukushima: Noch heute sind die Auswirkungen des Unglücks spürbar - in Japan, Deutschland, überall.

Okuma - Der 11. März 2011 hat vieles verändert. Ein verheerender Tsunami* in Folge eines Erdbebens rollte auf die Küsten Japans zu, riss rund 20.000 Menschen in den Tod und prallte schließlich mit voller Wucht auf das Atomkraftwerk Fukushima. Nachdem die gigantische Flutwelle zuvor ganze Dörfer an der Pazifikküste unter sich begraben hatte, bedeutet die Kernschmelze am Reaktor den Super-GAU.

Zehn Jahre Fukushima: Wie in Tschernobyl - kaum Leben rund um den Reaktor

Die Katastrophe im Kernkraftwerk setzte große Mengen an radioaktiver Strahlung frei, durch die die Umwelt großflächig kontaminiert wurde. 100.000 bis 150.000 Menschen mussten fliehen und ihr Hab und Gut zurücklassen. Zehn Jahre nach dem Unglück können noch immer nicht alle Betroffenen in die Präfektur Fukushima zurückkehren. Rund 41.000 Menschen leben noch immer entwurzelt.

In Fukushima sind manche Gegenden um die Atomruine herum wegen hoher Strahlung eine Sperrzone. Die Ortschaft Okuma, wo das Kernkraftwerk steht, avancierte zur Geisterstadt. Sie weist große Parallelen mit der ukrainischen Stadt Prypjat auf, die sich bis heute nicht wirklich von der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 erholt hat.

Rund um das Kernkraftwerk Fukushima sind die Straßen auch zehn Jahre nach dem Unglück leer.
Tristesse statt Leben: Rund um das Kernkraftwerk Fukushima sind die Straßen auch zehn Jahre nach dem Unglück leer. © Kyodo News/imago-images

Zehn Jahre Fukushima: Weiterhin Probleme am Werk - Stilllegung erst nach 2050

Am Kernkraftwerk Fukushima herrscht aktuell wieder Betrieb, doch die Arbeit vor Ort ist keineswegs mit der Zeit vor 2011 vergleichbar. Täglich sind etwa 4500 Menschen im Einsatz, um die Folgen am Reaktor aufzuarbeiten: die Bergung von fast 900 Tonnen geschmolzenem Brennstoff und hochradioaktiven Trümmern.

Bis das havarierte Kernkraftwerk vollständig stillgelegt werden kann, dauert es nach offiziellen Angaben noch 30 bis 40 Jahre. Kritiker halten diesen Zeitrahmen für zu optimistisch. Die Probleme vor Ort seien zu gravierend. Wie der japanische TV-Sender NHK berichtet, ist der Wasserpegel im Untergeschoss des zerstörten Reaktors 3 zuletzt aus noch ungeklärter Ursache gestiegen. Dies deutet auf mögliche neue Schäden durch ein schweres Erdbeben hin, das erst kürzlich die Unglücksregion erneut erschüttert hatte.

Fukushima: Japans machte vorrübergehend alle AKWs im Land dicht

Das Leben der betroffenen Menschen ist seit der Katastrophe nicht mehr dasselbe. Familien wurden auseinandergerissen, Existenzen zerstört. Der Wiederaufbau der Region trete jetzt in die letzte Phase, erklärte Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga* während einer Gedenkfeier am Donnerstag. Man werde die Opfer auch nach zehn Jahren keineswegs vergessen. Neben den unzähligen Einzelschicksalen hatte das Unglück auch weitreichende globale Folgen. Etliche Länder änderten ihre AKW-Politik - auf unterschiedliche Weise.

Nach dem Unglück schaltete Japan* alle 54 Atomkraftwerke im Land ab, damit die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden konnten. Im Kernkraftwerk Fukushima waren im Nachhinein etliche Konstruktionsmängel offen geworden. Ob ein einwandfrei funktionierendes AKW die Katastrophe besser überstanden hätte, ist allerdings unklar. Die Inselnation produzierte vor 2011 fast ein Drittel des Stroms aus Kernkraft, heute sind es weniger als zehn Prozent. Doch das soll sich ändern.

Fukushima: Atomenergie nach wie vor ein Faktor - auch in Japan

Bis 2030 will die japanische Regierung den Anteil von Kernenergie auf 20 bis 22 Prozent anheben. Man wolle unabhängiger von Energieimporten sein, heißt es dahingehend aus Tokio. Bis 2050 will das Land klimaneutral sein, wofür erneuerbare Energien zwar in den Fokus gerückt werden, aber eben nicht die alleinige Energiequelle darstellen sollen. Die Mehrheit der japanischen Bevölkerung lehnt Kernenergie seit Fukushima allerdings ab. In Regionen mit entsprechenden Werken gibt es große Proteste gegen die geplante Wiederaufnahme.

Auch in anderen Ländern spielt Kernenergie nach wie vor eine große Rolle. Spitzenreiter ist Frankreich, wo etwa 70 Prozent des Stroms durch Nuklearenergie erzeugt werden, dahinter folgen Ukraine, Slowakei und Ungarn. In Frankreich wurden die Laufzeiten für Kernkraftwerke zuletzt langfristig verlängert, in anderen Ländern plant die Politik hingegen den Ausstieg.

Fukushima: Nuklearkatastrophe als Auslöser für deutsche Energiewende

In Deutschland löste Fukushima derweil eine radikale Wende der Energiepolitik aus und beschleunigte den Atomausstieg. 2011 waren noch 17 Kernkraftwerke in Betrieb. Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung wollte die meisten Anlagen erst in den 2030er Jahren schließen, garantierte einigen Betreibern sogar noch kurz vor der Katastrophe längere Laufzeiten.

Nach Fukushima wurden dann allerdings acht Werke unmittelbar abgeschaltet, weitere folgten. Momentan sind noch sechs Anlagen in Betrieb, sie werden jedoch bis spätestens 2022 abgeschaltet. Der Anteil von Kernenergie an der Bruttostromerzeugung ist dementsprechend in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Aktuell liegt er bei etwa elf Prozent. 2011 waren es mehr als doppelt so viel.

Aktives AKWLageAbschaltung
BrokdorfSchleswig-HolsteinEnde 2021
GrohndeNiedersachsenEnde 2021
Gundremmingen CBayernEnde 2021
EmslandNiedersachsenEnde 2022
Isar 2BayernEnde 2022
Neckarwestheim 2Baden-WürttembergEnde 2022

Zehn Jahre Fukushima: Erneuerbare Energien in Deutschland auf dem Vormarsch

Statt Kernenergie setzt Deutschland mittlerweile größtenteils auf erneuerbare Energien. Aktuell werden mit 51,8 Prozent mehr als die Hälfte des Stroms auf diese Weise erzeugt, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Der wichtigste Energieträger ist dabei die Windkraft, welche 2020 etwa ein Viertel der eingespeisten Strommenge darstellte. In den letzten zehn Jahren wurden mehr als 10.000 Anlagen in der Bundesrepublik installiert. Neben Wind nimmt auch der Photovoltaik-Anteil in Deutschland zu.

Um sich in Zukunft verstärkt auf erneuerbare Energien zu fokussieren, steigt Deutschland neben der Atom- auch aus der Braun- und Steinkohleenergie aus. Die ersten Werke sind bereits abgeschaltet. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen und die Förderung von Braunkohle eingestellt sein. (as) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
 

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