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Ungarns neuer Gas-Deal: Abhängigkeit von Russland wird bestätigt - Experte warnt vor Trugschluss

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Von: Aleksandra Fedorska

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Russlands Präsident Wladimir Putin und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.
Machen gemeinsame Geschäfte: Russlands Präsident Wladimir Putin und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. © Kremlin Pool/Imago

Ungarn wurde seit 1995 mit Erdgas aus Russland beliefert. Jetzt handelte man einen neuen Vertrag aus. Damit hat sich Ungarn in eine erhebliche Abhängigkeit zu Gazprom begeben

Budapest - Der Primärenergieverbrauch in Ungarn blieb während der zurückliegenden Dekade ausgesprochen konstant. Laut dem Statistical Review of World Energy 2021 zählt Ungarn mit knapp 1 EJ Primärenergieverbrauch zu den weniger energieintensiven Volkswirtschaften in der Europäischen Union.

Mehr als ein Drittel des Primärenergieverbrauchs geht auf das Erdgas zurück. Im Gegensatz zu anderen Staaten der Region verbraucht Ungarn wenig Kohle. Ein erheblicher Anteil der Stromversorgung ist auf die Kernkraft zurückzuführen, während die erneuerbaren Energiequellen (0,06 EJ) noch einen außerordentlich geringen Anteil an der Energieproduktion aufweisen. In Ungarn gibt es kaum Windturbine, aber einen dynamischen Ausbau von Photovoltaik und Geothermieanlagen.

Ungarn: Erneuerbare Energie spielen aktuell keine große Rolle

In der Summe wies Ungarn mit 45,7 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2020 ein geringes Emissionsvolumen auf. Dagegen betrug dieses Emissionsvolumen im letzten Jahr in Tschechien 85,1 Tonnen und in Deutschland ganze 604,6 Tonnen.

In der ungarischen Klimapolitik haben erneuerbare Energiequellen aktuell eine sehr geringe Bedeutung. Die weitere Reduzierung der CO2-Emissionen im Sinne der gesamteuropäischen Klimapolitik soll vor allem durch Kernkraft und den Verzicht auf die Kohle zugunsten von Erdgas realisiert werden. Ungarn verbrauchte 2020 über 10 Mrd. m³ an Energie. Im Jahr 2019 wurde eine vergleichbare Menge benötigt. Damals wurden fast 10 Mrd. m³ aus Russland bestellt und die Gasspeicher wurden aufgefüllt. Ungarn wollte für das Jahr 2020 vorbereitet sein, falls Russland* die Transfers über die Ukraine einschränkt.

Ungarn: Neuer Gasliefervertrag mit Problemen

Der Ungarnexperte Dominik Héjj vom Institut of Central Europe (IES) machte in seinem Themendossier zur Energiepolitik in Ungarn vom November 2019 darauf aufmerksam, dass die ungarische Regierung die bisherige Transferroute über die Ukraine mit zunehmender Skepsis betrachtet. Sie befürchtet, dass bei einer Beschränkung des Transfervolumens die Gefahr besteht, dass zu wenig Gas nach Ungarn geliefert wird. In der Tat sind die ungarischen Befürchtungen zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich eingetreten, denn über die Ukraine werden die Vertragspartner, wie die Slowakei und Ungarn, kaum noch beliefert. Die Versorgungssituation dieser Länder wird dadurch immer problematischer.

Ungarn wollte dieser Situation zuvorkommen und entschied sich für einen Vertragsabschluss, der seit 1. Oktober gilt, über zwei alternative Transferrouten. Im Juni 2020 äußerte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó den Wunsch neue Verträge mit Gazprom auszuhandeln. Den Ungarn schwebten drei Verträge mit einer Dauer von jeweils 5 Jahren vor. Damals betonte Szijjártó, dass kurze Vertragslaufzeiten Ungarn die Möglichkeit lassen würden, gegebenenfalls nach Ablauf von 5 Jahren eine günstigere Option zu wählen.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó zusammen mit Ministerpräsident Viktor Orban.
Ungarns Außenminister Péter Szijjártó zusammen mit Ministerpräsident Viktor Orban. © PuzzlePix/Imago

Ungarns neuer Gasvertrag: Das Land hat sich auf ein risikoreiches Geschäft eingelassen

Parallel zu den Verhandlungen mit Gazprom sicherte sich Ungarn Mitte 2020 den Zugang zum Flüssiggasterminal auf der kroatischen Insel Krk. Hier wird das LNG (Liquefied Natural Gas) von dem Energiekonzern Shell für Ungarn geliefert. Szijjártó betonte in dem Zusammenhang erneut, dass Ungarn sich allein von der Versorgungssicherheit und dem Preis bei seinen Bestellungen leiten lassen will. Dabei möchte das Land flexibel und rational entscheiden können.

Die ursprünglichen Vorstellungen Ungarns haben sich in den diesjährigen Verhandlungen mit Gazprom kaum erfüllt. Das Land hat sich stattdessen auf ein risikoreiches Geschäft eingelassen. Szijjártó gab Ende August nach einem Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Gazprom-Gruppe bekannt:

„Der 1995 abgeschlossene langfristige Gasliefervertrag zwischen Ungarn und Russland läuft nun aus. Deshalb wurde beschlossen, dass unser Heimatland, um eine langfristig stabile und berechenbare Energieversorgungssicherheit zu erreichen, einen neuen langfristigen Gasbezugsvertrag mit Russland abschließt. Heute haben wir uns über alle Details und alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung geeinigt.”

Ungarns neuer Gasvertrag: Verhandlungen im Sinne Russlands

Der neue Liefervertrag mit einer Vertragsdauer von 15 Jahren sichert Ungarn 4,5 Mrd. m³ Erdgas jährlich zu. Dabei wird statt der bisherigen Transferroute über das ukrainische Staatsgebiet vertraglich festgelegt, dass 3,5 Mrd. m³ über die neue Gaspipeline TurkStream über Serbien und 1-1,5 Mrd. m³ über Österreich nach Ungarn geliefert werden. Diese neue Routenführung umgeht vollständig den bisherigen Weg über die Ukraine. So weit sind die Verhandlungen ganz im Sinne Russlands verlaufen.

Der Energieexperte und Chefredakteur des Energiefachportals Biznesalert Wojciech Jakóbik geht davon aus, dass sich alsbald Enttäuschung auf ungarischer Seite einstellen könnte. Zwar wurde der konkrete Gaspreis nicht veröffentlicht, aber es ist davon auszugehen, dass dieser Preis vor dem Hintergrund der aktuellen Höchststände auf den Weltmärkten wohl günstig erscheint. Wenn sich aber der Gaspreis mittelfristig wieder normalisiert, wird der Preisvorteil, den Ungarn jetzt einstreicht, nicht mehr besonders hoch sein, aber die Abhängigkeit von Gazprom bleibt für lange Jahren bestehen.

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Ungarn: Neue Reaktorblocks von Rosatom - samt Zusage für russisches Staatsdarlehen

Das ungarische Kernkraftwerk in Paks mit einer Gesamtleistung von 2 GW erzeugt 0,14 EJ jährlich, was rund 15 Prozent der gesamten Energieerzeugung des Landes entspricht. Im Bereich der reinen Stromerzeugung sind es sogar 50 Prozent des Verbrauchs.

Die Anlage in Paks ging 1982 mit dem ersten Reaktorblock in Betrieb. Zum Einsatz kommen Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart aus der Bauserie WWER-440. Ungarn hatte 2014 beschlossen das Kernkraftwerk um zwei weitere Blöcke zu erweitern. Den Auftrag erhielt Rosatom, obwohl sowohl die Franzosen, als auch die Amerikaner Interesse bekundet hatten. Ausschlaggebend war die Zusage für ein russisches Staatsdarlehen, um den Großteil des Projekts zu finanzieren.

Seitdem ist nicht viel geschehen. Die Experten schätzen die Verzögerungen inzwischen auf etwa vier Jahre. Dabei äußerten die Vertreter der ungarischen Regierung, dass die neuen Atomreaktoren 2028-2029 in Betrieb gehen sollen. Diese Zeitperspektive ist inzwischen als reines Wunschdenken zu interpretieren, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal alle Genehmigungen für den Bau vorliegen. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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