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Rechtsruck in Tschechien? Warum diese Interpretation nur bedingt richtig ist

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Von: Aleksandra Fedorska

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Die Wahlallianz SPOLU hat überraschend die Parlamentswahl in Tschechien gewonnen. Kommentatoren sprachen vom Sieg eines rechtsorientierten Blocks. Doch das ist zu leichtfertig.

Prag – Mit einem denkbar knappen Ergebnis lag die Parteienallianz SPOLU bei den Parlamentswahlen in Tschechien vom 8. und 9. Oktober vor der Partei des amtierenden Premierministers Andrej Babiš. SPOLU, die aus drei politischen Parteien besteht, erklärte, dass sie gemeinsam mit den Piraten und den Bürgermeistern (STAN) die neue tschechische Regierung bilden möchte. Mittlerweile haben sich auch die anderen Partner auf eine gemeinsame Regierungsbildung geeinigt und den Koalitionsvertrag am 8. November unterschrieben. Die Beteiligung der Piraten an der Regierung wird ein parteiinternes Referendum bestätigen, dessen Ergebnis am 15. November verkündet wird.

Das Wahlergebnis wird in den Medien gern als Rechtsruck interpretiert, doch das ist nur bedingt richtig, denn der tschechische Konservativismus lässt sich nicht in das übliche Raster der mittelosteuropäischen Parteiensysteme einordnen. Etwas zu schnell und leichtfertig wird die breite Wahlallianz SPOLU als rechter Parteienblock charakterisiert.

Kein Rechtsruck in Tschechien? Was hinter der Allianz SPOLU wirklich steckt

SPOLU setzt sich aus ODS, KDU-ČSL und der TOP 09 von Markéta Pekarová-Adamová zusammen. Führend ist aber hier klar die bürgerliche Občanská Demokratická Strana (ODS) mit Petr Fiala an der Spitze. Der Politologe lehrte als Professor an der renommierten Masaryk-Universität in Brünn, war Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften sowie Rektor dieser Hochschule – und hat bereits Erfahrungen in der Politik als Abgeordneter und als Minister für Jugend, Sport und Bildung (2012-2013) gesammelt. Er gilt als betont ruhig und im Gegensatz zu Babiš ist er ein wohlüberlegter und zurückhaltender Redner. Petr Fiala wird voraussichtlich zum nächsten Premier Tschechiens* gewählt.

Marketa Pekarova Adamova (von links), Petr Fiala, Ivan Bartos und Vit Rakusan nehmen an einer Pressekonferenz als Koalition teil und unterzeichnen ein Memorandum über ihre Bereitschaft, eine tschechische Mehrheitsregierung zu bilden.
Marketa Pekarova Adamova (von links), Petr Fiala, Ivan Bartos und Vit Rakusan nehmen an einer Pressekonferenz als Koalition teil und unterzeichnen ein Memorandum über ihre Bereitschaft, eine tschechische Mehrheitsregierung zu bilden. © Ondrej Deml/Imago

Die bürgerliche Občanská Demokratická Strana ist vor allem eine wirtschaftsliberale Partei, was maßgeblich auf ihren Gründer und ehemaligen Präsidenten der Tschechischen Republik Václav Klaus zurückzuführen ist. Dass Fiala keine rechtspopulistischen Ausfallerscheinungen duldet, zeigte sich 2019, als er den Sohn des Parteiengründers, Vaclav Klaus junior, aus der Partei ausschloss. Der Abgeordnete Klaus junior wurde aus der ODS endgültig ausgeschlossen, nachdem er in der Diskussion um die Verabschiedung des Datenschutzgesetzes das Gesetzgebungsverfahren mit den Entscheidungen jüdischer Komitees, die Listen von Personen genehmigten, die für den Transport in NS-Konzentrationslager bestimmt waren, gleichsetzte.

Tschechien: Die Wahlallianz SPOLU – Drei politische Parteien wollen gemeinsam Regierung stellen

Die christlich-soziale KDU-ČSL kann auf eine lange Geschichte zurückschauen. Sie vereinte einige kleinere katholische Parteien und wurde als christlich-soziale Partei mit agrarischem Hintergrund im Jahr 1919 eingetragen. Ihr Schicksal ist während des Kommunismus mit der polnischen PSL vergleichbar. Direkt nach dem Krieg waren beide Parteien die wichtigsten politischen Kräfte in diesen Ländern, wurden aber mit der Zeit von den Kommunisten marginalisiert. Nach der Wende war sowohl die KDU-ČSL als auch die PSL als kleiner Koalitionspartner an mehreren Regierungen beteiligt.

Vergleichbar sind die beiden Parteien auch hinsichtlich ihrer gemäßigten und ausgewogenen Haltung zu weltanschaulichen Fragen. Der dritte Partner in der SPOLU heißt TOP 09. Die junge 37-jährige Vorsitzende Markéta Pekarová-Adamová kommt selbst aus der Lokal- und Stadtpolitik. Sie war Bezirksrätin in Prag. Dies dürfte eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner von der STAN darstellen. Pekarová-Adamová begrüßte ausdrücklich den Sieg von Joe Biden bei den US-Präsidentschaftswahlen, was bei rechtspopulistischen Politikern der Region keine Selbstverständlichkeit war.

Wahlallianz SPOLU: Wird Andrej Babiš Präsident von Tschechien?

Wegen der Unklarheit um den tatsächlichen Gesundheitszustand des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman wird bereits seit Wochen darüber spekuliert, ob es nicht zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen kommt. Es gibt aber Hinweise, dass es zu einer Verbesserung des Zustandes des Patienten gekommen ist, denn Zeman hat die Intensivstation des Militärkrankenhauses in Prag verlassen. Am 4. November wurde Zeman in den konventionellen Krankenhausbereich verlegt.

Für seine Genesung ist jedoch der Krankenhausaufenthalt weiterhin nötig, sonst hätte er nicht kürzlich vom Krankenhaus aus, ein Radiointerview gegeben. Die Kanzlei des Präsidenten gab bekannt, dass sie nun bereit sei für das Abtreten der alten Regierung*. Fiala wird Zeman in Kürze eine Liste möglicher Minister vorlegen. Erst nach der Zustimmung des Präsidenten werden die Namen der Minister veröffentlicht. Der Präsident kann die Besetzung der Ministerien beanstanden. Finden die Vorschläge seine Zustimmung, so kann sich die Regierung der Abstimmung im Parlament stellen. 

Sollte es aber zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Tschechien kommen, rechnet sich Babiš gute Chancen aus. Die Ergebnisse der Umfragen sind hingegen durchwachsen. Zwar kann er mit rund 25 Prozent der Wählerstimmen rechnen, aber das Potenzial seiner Gegner ist noch weit höher. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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