Merz sieht „Doppel-Murks“ der Ampel und stichelt gegen Grünen-Chef Nouripour: „Das ist doch nicht witzig“

Finanzminister Lindner spricht von „Energiekrieg“. CDU-Chef Merz warnt vor möglichem „Doppel-Murks“ und stichelt gegen die Grünen.
Berlin – 200 Milliarden Euro Sondervermögen für den - laut Bundeskanzler Olaf Scholz - „Doppel-Wumms“. Neben den bereits für die „Zeitenwende“ beschlossenen 100 Milliarden Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr folgt nun die nächste Maßnahme im von Finanzminister Christian Lindner sogenannten „Energiekrieg“. Die neuen Kredite sollen vor allem dazu genutzt werden, die Energiemarktpreise zu stabilisieren und die erneuerbaren Energiemöglichkeiten voranzubringen.
Lindner, der kurzfristig der aktuellen ZDF-Talkrunde von Maybrit Illner unter dem kritischen Titel „Krieg und Krise – ist Deutschland überfordert?“ zugesagt hat, rechtfertigt die Maßnahme und stellt noch mal klar, dass die „Schuldenbremse“ bleibe, die, so Lindner nicht sein „persönlicher Spleen“, sondern „in der Verfassung“ verankert sei. Lindner: „Ich bin der Vermögensverwalter der Bürger, und jede Milliarde Schulden tut mir weh, weil wir darauf höheren Zins zahlen.“
„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Christian Lindner (FDP) - Bundesfinanzminister
- Omid Nouripour (B’90 / Die Grünen) - Parteivorsitzender
- Friedrich Merz (CDU) - Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender
- Eva Quadbeck - stellvertretende Chefredakteurin und Leiterin im Hauptstadtbüro RND
- Katja Gloger - ehemalige Washington- und Moskau-Korrespondentin Stern
Friedrich Merz, der Lindner am Talk-Tisch vis-a-vis sitzt, zeigt aus der Oppositionsecke zwar Verständnis für die außergewöhnliche Situation, in der sich die Regierung befinde, will aber das hohe Risiko, dass diese Ausgaben mit sich bringen, nicht verhehlen. Merz verbildlicht die Lage mit einem Gleichnis aus der Chirurgie: „Das ist eine Operation am offenen Herzen ohne Narkose“ und die sei „hochriskant“, so Merz.

Die gigantischen Schulden würden derzeit den „Kindern“ auferlegt, die die nun aufgenommenen Bundeskredite abstottern müssten. Lindner weist das nicht von der Hand: „Jede Milliarde, die wir aufnehmen, zahlen die Zuschauer, die Kinder, die Enkel mit Zins und Tilgung zurück“, untermauert er Merz‘ Einwurf. Und argumentiert umgekehrt: „Ohne den Abwehrschirm wäre die Schuldenbremse im nächsten Jahr nicht zu halten“, so Lindner. Er sei jetzt ein notwendiges „Signal“ an die „Kapitalmärkte“, so Lindner, dass Deutschland weiter auf „Stabilitätskurs“ sei.
Merz muss bei der Gasumlage lachen, Grünen-Chef Nouripur findet das „nicht witzig“
Seine Schadenfreude nicht verhehlen, kann Merz in Bezug auf die geplatzte „Gasumlage“, die er zuvor scharf kritisiert hatte und die nun vom Tisch ist. Als Moderatorin Illner den Grünen-Chef Nouripour damit konfrontiert, kommt der sichtlich ins Rudern und weicht aus: „Wir können jetzt die gesamte Sendung darüber sprechen, ob die Umlage sinnvoll war“, setzt er an und Merz lacht sich hörbar ins Fäustchen.
Als Merz an anderer Stelle erneut darüber ins Kichern kommt, platzt dem Günen-Vorsitzenden Omid Nouripour der Kragen: „Das ist doch nicht witzig.“ Der CDU-Mann fasst sich schnell und verweist allein auf das bürokratische „Ärgernis“, das die Umlage den Energiekonzernen bereitet habe: Für Millionen von Nutzern musste sie berechnet und zugestellt werden, um nun wieder Schreiben zur Rücknahme zu erstellen. Nouripour schaut kleinlaut: „Es macht mehr Sinn, jetzt nach vorn zu schauen“, befindet er. Notwendig sei gewesen, das Gasliefersystem in Deutschland zu „retten“.
Lindner spricht sich für die Laufzeitverlängerung von fünf Atomkraftwerken aus
Merz bemängelt die fehlende Darlegung der Instrumente und Umsetzung der neuen Gesetze: „Jetzt hören wir von 200 Milliarden Euro und einem ‚Doppel-Wumms‘, ohne dass wir wissen, was es damit auf sich hat. Die Gaspreise zu deckeln ist das eine, die Strompreise zu deckeln, noch einmal was ganz anderes. Da kann man nur hoffen, dass daraus nicht ‚Doppel-Murks‘ wird“, so der Oppositionsführer. „Wir wissen jetzt das Preisschild, aber wir kennen das Produkt nicht.“
Und er kritisiert weiter, dass mit der Art der Ausgestaltung den Menschen weder der wichtige Sparanreiz noch die Anforderungen vermittelt würden: „Die Bevölkerung draußen hat das Gefühl, okay, es gibt jetzt 200 Milliarden Euro, und jetzt haben wir das Problem gelöst“, so Merz. „Aber wir sind weit entfernt davon, das Problem zu lösen.“ Im Gegenteil, man stünde ganz am Anfang.
Lindner hat dem nicht viel entgegensetzen. Die Zufallsgewinne bei Kohle- oder Windstrom sollen künftig von den hohen Gaspreisen entkoppelt werden. Lindner: „Das wollen wir abschöpfen und im System belassen.“ Außerdem stellt er die Haltung der FDP in der Atomkraft-Frage dar: „Alle drei Kernkraftwerke, die wir haben, während der ganzen Krise, und noch die zwei, die gegenwärtig nicht am Netz sind, könnte man aktivieren“, so der Parteichef, gibt aber zu, dass in Sachen „Kernkraft“ noch ein „Dissens“ bestehe. Merz fühlt sich bestätigt: „Die Gaspreisbremse ist eine Erfindung von uns“, befindet er und ist überzeugt, dass die Union es „handwerklich besser“ gekonnt hätte.
Lindner kann einen nuklearen Anschlag von russischer Seite nicht ausschließen
Eva Quadbeck, stellvertretende Chefredakteurin beim RND, kritisiert, dass die Regierung zu viel Zeit mit Streitigkeiten verschwendet habe. Während der „Wohlstandsverlust“ bei den „Bürgern und Unternehmen“ bereits angekommen sei, hätten sich die Koalitionäre in „parteipolitischen Wagenburgen“ verschanzt. Christian Lindner wird bei diesem Vorwurf emotional: Man müsse „mit einer der schwersten“ und einer „präzedenzlosen Krise“ umgehen, die es seit Bestehen der Bundesrepublik gebe. „Parteipolitik und Umfragen“ seien jetzt nicht zielführend, so Lindner freimütig. Er sendet einen dramatischen Appell: „Es geht darum, langfristig die Substanz unseres Landes zu retten.“
Die Anschläge auf die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2, die das ultimative Aus für Energielieferungen aus Russland bedeuten, sieht die ehemalige Moskau-Korrespondentin Katja Gloger wie ein Symbol für das Ende einer Ära der wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland. Sie malt den nächsten Teufel an die Wand: „Putin erpresst uns nuklear.“ Auch Christian Lindner kann diese Gefahr nicht ausschließen, appelliert an den Zusammenhalt des Westens: „Putins Kalkül kann und darf nicht aufgehen, das wäre ein Risiko für die globale Sicherheit. Es wäre auch ein Desaster für die Werte des Multilateralismus und der Demokratie.“
Fazit des „Maybrit Illner“-Talks
Friedrich Merz kann der Krise etwas Humorvolles abgewinnen. In der Sendung muss er mehrfach auflachen, das wirkte fast schon wie Kompensation. Lindner sprach aus, wie verzweifelt die Lage ist. Merz machte deutlich, dass die Aufnahme von Schulden nicht automatisch eine Lösung sei, sondern auch dazu führen könne, dass sich die Lage noch verschlimmere. (Verena Schulemann)