Markus Lanz mit Nouripour und Altmaier: Mineralölkonzerne im Visier von Ex-Minister - „kein Freifahrtschein“

Altmaier muss sich rechtfertigen: Bei „Markus Lanz“ geht es um alte Versäumnisse und aktuelle „Knall-Bonbons“, die eine explodierende Inflation ausgleichen sollen. Nouripour outet sich dabei als Autofan.
Hamburg – Peter Altmaier war als „guter Geist über allem“ angekündigt worden, doch der ehemalige Bundesminister musste bei „Markus Lanz“ vor allem die Rolle des Büßers einnehmen. Für alle Fehler, die er auf den verschiedenen Ministerposten begangen hat, für versäumte Chancen und Dinge, die er „nicht rechtzeitig gesehen hat“. Neben Lanz selbst war es vor allem Grünen-Chef Omid Nouripour, der „Merkels gewichtigsten Minister“ - Altmaier über sich selbst - attackierte.
Doch zunächst bekommt die aktuelle Regierung ihr Fett weg. Das auf drei Monate befristete Neun-Euro-Ticket sorgt für verstopfte Busse und Bahnen, als würden Coronavirus-Abstandsregeln in Wahrheit keine Rolle spielen. Und der ebenfalls befristete Tankrabatt für Treibstoffe hat zwar kaum Effekt für den Bürger, aber die Mineralölkonzerne können sich unverblümt und in aller Öffentlichkeit „die Taschen vollmachen“, konstatiert Lanz.
„Markus Lanz“: Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket - „Jeder kriegt sein kleines Knall-Bonbon“
Der Moderator lässt Omid Nouripour live und FDP-Finanzminister Christian Lindner per Video aufeinanderprallen. Die Statements der beiden machen deutlich: Jeder gibt dem anderen die Schuld, und beiden ist das Ergebnis offenbar egal. „Es ist nicht so, dass diese drei Monate den Unterschied machen“, sagt Nouripour ganz offen. Warum er dann den Tankrabatt nicht sofort stoppe, fragt Lanz: „Sie könnten das jetzt heute Abend machen, Herr Nouripour.“ Doch der lehnt sich zurück und sagt, darüber müsse man erst noch reden und das werde man tun. Immerhin: „Wir wollten das nicht, was da jetzt gekommen ist“, sagt Nouripour.
„Da haben wir jetzt ein Problem“, diagnostiziert Lanz. „Die Grünen wollten es nicht. Die FDP wollte es nicht. Ist am Ende wieder die SPD Schuld an allem?“ Die Frage richtet er gezielt an die Journalistin Eva Quadbeck, die für das Redaktionsnetzwerk Deutschland arbeitet. Sie antwortet: „Jeder kriegt sein kleines Knall-Bonbon, um seiner Wählerklientel etwas präsentieren zu können. Bei den Grünen war es das Neun-Euro-Ticket und bei der FDP der Tankrabatt.“ Beides sei allerdings nicht mehr als „ein Tischfeuerwerk und kein bisschen nachhaltig“.
„Markus Lanz“: Altmaier zu explodierenden Benzinpreisen - „kein Freifahrtschein, um Taschen vollzustopfen“
Peter Altmaier sieht in der aktuellen Situation das Kartellamt in der Pflicht. Denn die Preise seien ja schließlich schon lange vor Beginn des Ukraine-Kriegs „exorbitant“ gestiegen. „Deshalb möchte ich gerne wissen, was haben Esso, BP und Shell an Gewinn gemacht in den letzten Monaten. Dann muss es begründet werden, wenn diese Gewinne in einer Weise gestiegen sind, die mit einem normalem Geschäftsgebahren nicht vereinbar ist. Marktwirtschaft ist kein Freifahrtschein, um sich die Taschen vollzustopfen.“
Eva Quadbeck erinnert daran, dass Preisabsprachen unter Mineralölkonzernen kein neues Phänomen seien. „Da hätte man als Kartellamt auch schon mal früher reinhauen können“, sagt sie, doch stattdessen habe das Amt immer nur „schön zugesehen“. Ein Tankrabatt, der nicht beim Verbraucher ankommt – „Das Ding ist doch jetzt offensichtlich in die Grütze gegangen“, sagt Lanz flapsig in Richtung Omid Nouripour. Der kickt den Schwarzen Peter weiter an die FDP. Die Grünen wollten ja eine Übergewinnsteuer, aber Christian Lindner sei dagegen.

Lanz bemüht sich, das Lamentieren zu kanalisieren, doch er beißt sich am Grünen die Zähne aus. „Wenn man Herrn Nouripour zuhört, denkt man ja, er ist mittlerweile in der Opposition. Und Christian Lindner offensichtlich auch. Wer regiert da noch?“ Eine Frage, die bis zum Ende der Sendung offenbleiben soll.
Diese Gäste diskutierten mit Markus Lanz:
- Peter Altmaier (ehemaliger Bundeswirtschaftsminister und Bundesumweltminister, CDU)
- Jana Puglierin (Politologin)
- Omid Nouripour (Bundesvorstand B90/Die Grünen)
- Eva Quadbeck (Journalistin, Leiterin Hauptstadtbüro Redaktionsnetzwerk Deutschland RND)
Altmaier lobt sogar die Vorgehensweise seines Nachfolgers. Robert Habeck habe das Einschreiten des Kartellamts angekündigt. „Es wird jetzt irgendwann auch ein Ergebnis geben müssen“, sagt Altmaier und nimmt die Mineralölkonzerne ins Visier. „Dann wird man sehr ernst mit denen reden müssen.“ Eine Tatsache betont er besonders: „Es gibt auch im deutschen Recht Möglichkeiten, in bestimmten Bereichen Höchstpreise festzusetzen.“
Auch beim Thema Ukraine-Krieg geht es um Preise. Für Panzerhaubitzen, zum Beispiel. Sehr nüchtern warnt Grünen-Mann Nouripour davor, dass schwere Waffen sich plötzlich im Preis verdreifachen könnten. Da müsse man einen Riegel vorschieben.
„Markus Lanz“: Politologin will mehr Waffen für die Ukraine - „Möglichst schnell möglichst viel“
Politologin Jana Puglierin kritisiert vor allem, das bisher noch keine einzige deutsche schwere Waffe in der Ukraine eingesetzt wird. Panzerhaubitzen, Mehrfachraketenwerfer, Flugabwehr – das alles würde einen Unterschied machen, wenn es denn vorhanden wäre. Die Situation sei verheerend. „Jeden Tag sterben 60 bis 100 Ukrainer.“ Auch die Russen hätten bereits um die 15.000 Tote zu beklagen. Das entspreche der Zahl der getöteten Russen im gesamten Afghanistankrieg.
„Das kann die Ukraine nicht lange durchhalten“, sagt Puglierin. Sie hat die Situation wie auf einem Schachbrett im Blick, zählt Material und Tote. „Die Russen haben viel mehr Ressourcen. Deshalb müsse man jetzt dringend Waffen liefern, damit mehr zurückgeschossen werden könne. Puglierin will „möglichst schnell möglichst viel“. Für die Deutschen sei es wichtig, zu verstehen, „dass wir uns umorientieren, die Beziehung zu Russland kappen“.
Auch Nouripour ist dieser Ansicht: „Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir wirtschaftlich komplett entkoppelt sind von Russland. Wir werden am Ende nicht mehr Geschäfte mit Putin machen können.“ „Nie wieder?“, fragt Lanz, und der Grüne zeichnet für Putin einen Ausweg auf: „Wenn der morgen aufwacht und sich entschuldigt und Reparationen zahlt und abzieht, dann reden wir über was anderes. Wird nicht passieren.“
Eva Quadbeck stellt eine zentrale Frage, die auch schon in der Vorwoche in der Runde mit Ulrike Guérot kurz aufs Tableau kam, aber von Lanz kategorisch abgelehnt wurde. „Wohin wollen wir?“, fragt Quadbeck „Wenn Putin sagt: Ich habe den Donbass, ich habe Mariupol, das reicht mir, ich habe gewonnen. Was macht Europa dann?“ Die Politologin Puglierin springt ihr zur Seite: „Wenn Putin seine ersten Kriegsziele erreicht, kann ich mir vorstellen, dass er einen einseitigen Waffenstillstand erklärt.“
Für Altmaier kann es in diesem Fall nur eine Reaktion geben: „Wir sollten nicht den Fehler machen, dann, wenn Putin kriegsmüde ist, zu sagen, jetzt üben wir Druck auf die Ukraine aus, dass sie einen Waffenstillstand unter ungünstigsten Bedingungen akzeptiert.“ Womit die Runde wieder bei der Rolle der Deutschen ist, bei der Energieabhängigkeit von den Russen, bei den explodierenden Preisen für Lebensmittel und Energie, die den Deutschen das eigene Leben unbezahlbar machen. Wieso er das alles nicht kommen sah, will Lanz von Altmaier wissen „An welcher Stelle haben wir nicht aufgepasst?“
Markus Lanz attackiert Altmaier: „Was haben die anderen gesehen, was Sie nicht gesehen haben?“
Altmaier erinnert daran, dass er schon früh LNG-Terminals für amerikanisches Flüssiggas habe bauen wollen und genau dafür in die Schusslinie geriet. „Da war aber was los bei den Grünen in Niedersachsen“, sagt er im direkten Angriff auf Omid Nouripour, der dem nichts entgegenzusetzen hat. Dass ausgerechnet die Grünen diese Kritik jetzt revidieren und selbst für LNG-Terminals plädieren, findet Altmaier bemerkenswert.
In Europa gebe es aber 37 Terminals und in Deutschland kein einziges, sagt Lanz: „Wie kann das sein? Was haben die anderen gesehen, was Sie nicht gesehen haben?“
„Wenn ich über LNG-Terminals geredet habe, bin ich beschuldigt worden, dieses Fracking-Gas sei umweltschädlicher als die Braunkohle“, erinnert Altmaier. Lanz will Namen wissen. „Von Toni Hofreiter“, sagt Altmaier. „Aber Sie waren doch die Regierung! Warum haben Sie es nicht trotzdem durchgesetzt?“ – Lanz spitzt die Diskussion final zu.
Markus Lanz: „Wir sind komplett von China abhängig. Warum lassen wir so etwas zu?“
„Herr Altmaier, Sie haben sich also nichts vorzuwerfen?“, fragt er provokativ. Der kontert: „Herr Lanz, haben Sie mir zugehört eben?“ Der Moderator reagiert auf seine typische Art, indem er das Hemd der naiven Unschuld überwirft: „Ich hör’ Ihnen zu. Ich will’s nur verstehen. Ich mach’ Ihnen gar keine Vorwürfe. Ich will’s doch nur verstehen.“
Im nächsten Moment sticht er wieder zu: „In der Windkraftbranche sind 60.000 Jobs verlorengegangen. Im Solarsektor das Gleiche. Von 170.000 Stellen ist noch ein Drittel übrig. Wir sind komplett von China abhängig. Technik, die wir entwickelt haben, die wir zur Marktreife entwickelt haben. Und jetzt machen andere damit das große Geschäft. Warum lassen wir so etwas zu?“
Für Altmaier wird es eng. Auch Omid Nouripour sieht seinen Einsatz gekommen. Er wird laut, regt sich über die Umweltpolitik der Vorgängerregierung auf und darüber, dass die Energiespeicher für Gas leer gewesen seien. Journalistin Quadbeck wirft süffisant ein „Wir haben sogar eine nationale Erbsen-Reserve! Nur Gas wird nicht vorgehalten.“
„Wir haben auch keine Reserve für Eisenerze oder für Mikroprozessoren“, kontert Altmaier trocken, womit er Lanz wieder in seine Rolle bringt: „Ja aber mit Eisenerz heizt man auch nicht im Winter.“
„Markus Lanz“: Nouripour gesteht - Bemühe sehr oft den Fahrdienst des Deutschen Bundestages
Nouripour hat „einen Denkfehler“ entdeckt, und das sei das Vertrauen auf billige fossile Rohstoffe. Wenn man immer so weitermache, werde sich nichts ändern. Damit entwickelt der Grüne ungewollt eine pikante Schärfe, denn ohne es zu wollen, schließt er den Bogen zum Beginn der Sendung. Da hatte Markus Lanz gefragt, ob die Runde denn selbst schon vom Tankrabatt profitiert habe. Ausgerechnet CDU-Mann Altmaier, der in Berlin fast nur auf dem Fahrrad zu sehen ist, hatte gerade am Vortag privat getankt und konnte berichten. Grünen-Chef Nouripour hingegen musste gestehen, dass „ich sehr oft den Fahrdienst des Deutschen Bundestages bemühe“.
„Markus Lanz“: Fazit des ZDF-Talks
Das Leben wird langsam unbezahlbar. Sind dafür die Fehler der Vorgängerregierung entscheidend, oder können die Rabattaktionen der aktuellen Ampel die explodierende Inflation ausgleichen? Die Frage kann die Runde nicht klären. Aber, um es mit Grünen-Chef Omid Nouripour zu sagen: Nächste Woche wird eben weiter debattiert. (Michael Görmann)