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Putin-Debakel: Lanz gerät beim Thema Gas aus der Fassung - Grünen-Chef erwartet „minütlich“ Schröder-Rücktritt

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Omid Nouripour (Grüne) zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF).
Omid Nouripour (Grüne) zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF). © Cornelia Lehmann/ZDF

Die „Markus Lanz“-Runde diskutiert: Russland stoppt Öllieferung nach Polen, wann ist Deutschland raus? Und welche Rolle spielt der BASF-Konzern bei Deutschlands Gasabhängigkeit?

Hamburg – Die Grünen erleben politisch schwierige Wochen: Der Ukraine-Konflikt lässt pazifistische Grundüberzeugungen verblassen – aber auch grüne Minister zu Bittstellern in Katar werden. Bei „Markus Lanz“ muss sich am Donnerstag Parteichef Omid Nouripour auf den Zahn fühlen lassen.

Thema Nummer 1: Die Energieversorung. Deutschlands Rohstoffabhängigkeit von Russland müsse alsbald beendet werden, meint der Grünen-Vorsitzende. Bei den Ölimporten soll es zwar schnell gehen, doch Nouripour bleibt vage: „Wir hoffen, dass wir bis Sommer da raus sind.“

„Markus Lanz“: Russland stoppt Lieferungen nach Polen – Grünen-Chef fordert Konsequenzen von Schröder

Dabei kommt Nouripour auch auf Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu sprechen. Dieser habe gesagt, er werde von seinen Posten in Russland zurücktreten, wenn Russland den Gashahn abdrehe. Das sei in Polen und Bulgarien nun geschehen, deswegen warte er „minütlich darauf“, dass Schröder zurücktrete, sagt Nouripour mit bissigem Unterton. „Das stimmt“, fällt auch Talkmaster Markus Lanz auf. Nouripour nickt und legt nach: Wenn Schröder „irgendetwas“ ernst meinen würde, müsse er aus den russischen Geschäften aussteigen.

Schröder habe sich bestimmt nur auf Lieferungen an Deutschland bezogen, wendet Lanz ein – doch Nouripour korrigiert. „An Deutschland und die EU“ habe Schröder in seinem vielkritisierten Interview mit der New York Times zum Besten gegeben. Die Journalistin Claudia Kade fragt Nouripour daraufhin, ob er das Interview des Altkanzlers habe ernst nehmen können. Der Grünen-Chef stimmt in den Chor der Schröder-Kritiker ein: „Nein. Es gibt Leute, von denen man enttäuscht ist und dann gibt es Leute, wo man sich fragt, wie sie in den Spiegel gucken. Und wir kommen mittlerweile in Sphären, wo ich mich frage, ob da überhaupt noch ein Spiegel hängt.“

Wie ersetzt Deutschland Öl aus Russland? Ökonom hat bei „Markus Lanz“ eine Lösung parat

Wie lange es noch genau dauern werde, bis Deutschland die verbleibenden zwölf Prozent Öl-Abhängigkeit von Russland überwunden habe, vermag Nouripour ebenso wenig zu beantworten wie die Frage, woher der Ersatz stamme. Der Ökonom Rüdiger Bachmann springt ihm zur Seite: „Das wird auf dem Weltmarkt eingekauft.“ Es gebe zwar Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung, doch Öl, das dem russischen ähnele, sei auf den internationalen Märkten vorhanden. 

Für den Öl-Liefer-Deal, den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Polen verhandelt habe, gebe es außerdem ein historisches Vorbild, erklärt Bachmann: „Die Druschba-Pipeline ist ja schon einmal ausgefallen, da gab es einen Unfall. Das heißt, für eine gewisse Zeit musste überbrückt werden und man hat genau das gemacht: Man hat über Rostock mit Schiffen angeliefert. Jetzt kommt noch Danzig dazu.“

„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 27. April:

Auch aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas könne Deutschland aussteigen, wiederholt Bachmann seine Ansicht, die ihm und einigen Kolleginnen und Kollegen zuletzt den Unmut von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bescherte. Der Ökonom zeigt sich unbeeindruckt von seinen Kritikern – auch als Talkmaster Lanz ihn mit den Worten des BASF-Chefs Martin Brudermüller konfrontiert, der eine Zerstörung der gesamten Volkswirtschaft befürchtet. „BASF ist selber Gasförderer über seine Töchter in Russland, hat mit Gazprom sehr eng zusammengearbeitet. Es gibt auch politische Verbindungen“, entgegnet Bachmann.

Auch die Furcht vor einer Zerstörung der Volkswirtschaft könne er nicht nachvollziehen, sagt Bachmann. Deutschland habe ja perspektivisch ohnehin vor, sich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Dass die Industrieunternehmen langfristige Verträge mit Gazprom abgeschlossen hätten, habe ökonomisch zwar Sinn gemacht, weil sie sich nur so die günstigsten Gaspreise sichern konnten, Deutschland sei dadurch aber tiefer in die Abhängigkeit von russischem Gas geraten. Den Verhandlungen mit Katar sieht Bachmann aus den gleichen Gründen mit Spannung entgegen: „Die werden auch sagen: ‚Freunde, wenn ihr jetzt nur fünf Jahre für den Übergang etwas wollt, dann wird es teurer.‘“

Russisches Gas in Deutschland – die „Markus Lanz“-Runde diskutiert, warum das Gasnetz der Bundesrepublik privat organisiert sein darf

Aus der Fassung gerät der Gastgeber angesichts des Verkaufs von Deutschlands größtem Gasspeicher in Rehden und der Tatsache, dass weite Teile der deutschen Gas-Infrastruktur privatwirtschaftlich organisiert sind. Dass die BASF-Tochter Wintershall den Speicher in Rehden an Gazprom verkauft hat, führt Bachmann zu der Frage: „Musste das jemand genehmigen? Wenn ja, wer hat das genehmigt? Wenn nein, warum nicht?“ Schon letzten Herbst, erklärt der Moderator, sei der Speicher nicht so aufgefüllt worden wie in den Jahren zuvor. Für Nouripour bedeutet das, dass damit „der Krieg gegen die Ukraine vorbereitet wurde. Mitten in Deutschland“.

Letztlich sei all das zusammengenommen Politikversagen, attestiert Nouripour. Dass nicht reguliert, die kritische Infrastruktur nicht geschützt und Hermes-Bürgschaften vergeben worden seien, sei in erster Linie ein Versagen seines Berufsstandes. Das gelte auch für Mecklenburg-Vorpommern, wo Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wegen des Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2 zunehmend unter Druck gerät. Nouripour fordert, die umstrittene Klimaschutz-Stiftung MV aufzulösen, auch wenn ihr Vorsitzender, Schwesigs Amtsvorgänger Erwin Sellering (SPD) behaupte, das sei rechtlich nicht möglich: „Nord Stream ist mausetot, wird nicht mehr in Betrieb gehen – fertig. Deshalb braucht es auch die Stiftung nicht mehr.“

„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung

Die „Markus Lanz“-Runde um den Politiker Omid Nouripour (Grüne), die Journalistin Claudia Kade und den Ökonomen Rüdiger Bachmann analysiert am Mittwochabend in einer 60-Minuten-Ausgabe die politischen und wirtschaftlichen Folgen des russischen Krieges für Deutschland und Europa. Kritik müssen sich dabei nicht die Gäste gefallen lassen, sondern der BASF-Konzern, Putin und die bisherige deutsche Politik, die für die Abhängigkeit vom russischen Erdgas verantwortlich sei. Dabei geht es um die Frage: Wenn die chemische Industrie systemrelevant ist – warum darf sie dann privatwirtschaftlich organisiert sein?

Dass die Grünen mit ihrer Russland-Position im Recht waren, verschafft Nouripour indes keine Genugtuung: „Wir sind die letzten Jahre die Anti-Putin-Partei gewesen. Dementsprechend ist es nicht super-befremdlich, was wir machen. Aber es ist trotzdem nichts, was wir uns gewünscht haben. Es tut einfach weh zu sehen, dass die Friedensordnung in Europa kollabiert.“ (Hermann Racke)

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