Ein Kraftwerk spaltet Deutschlands Nachbarn - für Polens Kohle wird es „immer enger“

Tschechien und Polen haben sich im Konflikt um das Kohlekraftwerk Turów auf einen Kompromiss geeinigt. Doch der Streit um Energie und Umweltschutz endet damit nicht.
Turow/Liberec - Im Dreiländereck zwischen Sachsen, Tschechien und Polen*. schwelt ein polarisierender Konflikt. Einer, der noch nicht gelöst ist. Ein Kompromiss könnte nun 45 Millionen Euro kosten. Doch wird er auch die schwerwiegenden umweltpolitischen Probleme zwischen Lausitz, Niederschlesien und Nordböhmen beseitigen? Das bleibt vorerst offen.
Tagebau in Turow: Umwelt-Konflikt zwischen Lausitz, Niederschlesien und Nordböhmen
Ein Rückblick: Am 3. Februar kam es zu einer Einigung zwischen Tschechien und Polen zum Tagebaus in Turów. Nach schwierigen und langen Verhandlungen. Das Ergebnis: Der polnische Staat zahlt an Tschechien eine Kompensation in Höhe von 35 Millionen Euro. Zudem verpflichtet sich die polnische PGE-Stiftung, das Betreiber-Unternehmes des Kraftwerks, weitere zehn Millionen Euro an die Region Liberec zu zahlen. Die tschechische Seite zog daraufhin ihre Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zurück*. Ein wochenlanges Ringen lag hinter den Parteien:
Tschechien hatte im Februar 2021 die Klage eingereicht und der EuGH am 20. Mai vorerst den Stopp des Tagebaus angeordnet, um die Klage zu prüfen. Polnische Energie- und Außenpolitik-Experten wurden auf den Konflikt aufmerksam. Ihr Fazit: Viele der umweltpolitischen Probleme hätten schon im Jahr 2020 gelöst werden können. Zum Beispiel hätten Vorrichtungen gegen Luftverschmutzung und für Lärmschutz von den polnischen Betreibern installiert werden können. Und dem Grundwasserproblem in der Region rund um den riesigen Tagebau* hätte mit baulichen Trennwänden begegnet werden können. Samt gemeinsamen Monitoring. Es geschah lange nichts, obwohl sich Bürger im Dreiländereck besorgt zeigten.
PGW-Kohlekraftwerk Turow: Diskussionen im Dreiländereck zwischen Sachsen, Polen und Sachsen
Damit nicht genug. Der polnische Botschafter in Tschechien, Mirosław Jasiński, musste aufgrund kritischer Aussagen zum Turow-Tagebau sogar gehen. Er hatte in einem Gespräch mit der Deutschen Welle auf Verantwortungslosigkeit der polnischen Betreiber und Behörden verwiesen. „Es fehlte an Empathie, an Verständnis und an Dialogbereitschaft - und das vor allem auf polnischer Seite,” erklärte Jasiński damals. Die polnische Regierung versucht weiterhin, die Verhandlungen mit Tschechien als Erfolg zu verkaufen. Man zeige sich unbeugsam und habe so den Weiterbetrieb des Kraftwerks sowie des Tagebaus ermöglicht, hieß es in einer Stellungnahme aus Warschau.
Es fehlte an Empathie, an Verständnis und an Dialogbereitschaft.
Es folgte eine politische Attacke auf die Opposition, die sich für die Schließung des Bergwerks nach der Anordnung des EuGH ausgesprochen hatte. Die regierende PiS bemüht sich nun zumindest um eine Annäherung mit der neuen tschechischen Regierung um Premier Petr Fiala. Zuvor hatte die PiS den früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš dafür kritisiert, angeblich eine Einigung auszuschlagen, um daraus im Wahlkampf Kapital zu schlagen. Babiš verlor eben jenen Wahlkampf im vergangenen Dezember.
Jetzt soll es dem Vernehmen nach wieder mehr Schnittmengen geben. Insbesondere in punkto Kernkraft und Diversifizierung der Gaslieferungen. Tschechien hat bereits angekündigt, eine Beteiligung an dem polnischen LNG-Terminal in Świnoujście anzustreben. Damit könnten sowohl Prag als auch Warschau Gas über die Weltmärkte aus Katar, den USA oder Norwegen beziehen. LNG ist im Streit um russische Energielieferungen* nicht nur für Tschechien ein wichtiges Thema.
Kohlekraftwerk Turow: Tschechien treibt Kohleausstieg voran - Polen nicht
Konfliktpotenzial bleibt dennoch beim Thema Kohle. Tschechien verlegte zuletzt den geplanten Kohleausstieg auf das Jahr 2033 vor. Ein Vergleich: Geht es nach Bayerns Markus Söder (CSU), soll dieser in Deutschland 2030 kommen. Polen lässt sich dagegen offenbar Zeit mit einer Perspektive. „Es wird immer enger für die polnische Kohlewirtschaft, die Umstellung auf saubere Energien ist unausweichlich”, meint Piotr Rudyszyn vom polnischen Think Tank Instytut Jagielloński.
Der Experte, der selbst in der Lausitz in der Nähe von Görlitz wohnt, betont, dass „ Polen nachhaltige und gute Beziehungen zu seinen Nachbarn aufbauen“ müsse. „Die Tschechen haben im Falle Turóws die Versäumnisse des polnischen Staates und das übersteigerte Selbstvertrauen eines der größten staatseigenen Unternehmen in Polen ausgenutzt”, meint er.
Im Video: Vorgezogener Kohleausstieg? Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt Voraussetzungen
Für die Zukunft solle Polen verstärkt über die Form des Ausstiegs aus der Kohle nachdenken und nach positiven Beispielen aus der Nachbarschaft suchen, rät Rudyszyn: „Als Einwohner der Grenzregion möchte ich, dass der Kohleausstieg unter Berücksichtigung der Einwohner dieser Region und der Transition von Energiequellen erfolgt, wie es in Deutschland beispielsweise in der Lausitz durchgeführt wird.” Der Kohleausstieg im Dreiländereck Lausitz, Niederschlesien und Nordböhmen - er bleibt ein umstrittenes Thema. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.