Estland, Litauen, Ungarn und Polen sind Inflations-Europameister – Was die Energiekrise damit zu tun hat

In einigen Ländern Mittelosteuropas ist die Inflation schon zweistellig. Der größte Preistreiber in der Region sind die Energiekosten.
- Energiepreise und Lohnerhöhungen lassen die Inflation in Estland und Litauen steigen.
- Tschechien konnte die Inflation lange zügeln, muss aber jetzt mit massiven Preissteigerungen rechnen.
- Ungarn hat die Preise für Grundnahrungsmittel gedeckelt und Kreditratenerhöhungen verboten.
Die Inflation hat im Dezember 2021 in Deutschland die 5-Prozent-Marke überschritten. Dieser Wert ist in den Staaten Mitteleuropas und insbesondere im Baltikum viel höher. In Estland betrug die Teuerungsrate im November 2021 12 Prozent. In Litauen lag dieser Wert im Dezember 2021 bei 10,6 Prozent. Zurückzuführen sind diese Anstiege vor allem auf Preissteigerungen bei den Energiekosten. In Estland nahmen die Preise für Energie im November 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 55 Prozent zu.
Darüber hinaus gibt es noch weitere Ursachen dafür, dass in Mittelosteuropa die Inflation höher liegt als im Rest der EU. Eine stark vereinfachte These könnte auch lauten, dass die Arbeitsmärkte und Finanzmärkte dieser Region besonders gut durch die Pandemie gekommen sind und die Lohnerhöhungen mit bis zu 10 Prozent, wie in Litauen, sich in einer hohen Inflation niederschlagen.
Die Ausgangslage 2020: Ökonomische Folgen der Corona-Pandemie und Energiekosten
Die hohe Inflation wird neben den Energiekosten auch durch die ökonomischen Folgen der Corona*-Pandemie verursacht. Lieferengpässe und Nachholwirkungen lassen die Preise weltweit ansteigen. Allerdings hatten einige Volkswirtschaften bereits vor der Pandemie eine deutlich höhere Inflation. Das Polnische Wirtschaftsinstitut (PIE) betont, dass die Preissteigerung in Polen* im Jahr 2019 mit 2,3 und dann 2020 mit 3,4 Prozent bereits über dem gewünschten Level der polnischen Nationalbank lag. Die Ökonomen sprechen in diesem Fall von einer Sockelinflation. Diese ist in Mittelosteuropa im Durchschnitt höher als im übrigen EU-Raum. Damit kam die aktuelle Inflation in einem Moment auf, wo die Preise bereits schneller angestiegen sind als erwartet.
In Estland* sah die Situation diesbezüglich jedoch absolut anders aus. Die Preisentwicklung war hier sogar 2020 mit -0,6 Prozent rückläufig. Dann kam es zu einem massiven Preissprung, der mehrheitlich auf die Energiekosten zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass die Esten potenziell über zusätzliche Geldmittel von bis zu einer Milliarde Euro verfügen, da eine Säule der Altersversorgung im September 2021 nicht mehr verpflichtend ist. Sie können das Geld alternativ anlegen.
(Der Klimawandel ist längst in Mitteleuropa angekommen. Zwischen 2014 und 2020 war es in Tschechien so trocken, wie niemals zuvor. Mit Auswirkungen etwa für Pläne in Temelin.)
In Polen, wo die Inflation im Dezember 2021 8,6 Prozent betrug, waren neben der Energie auch Wohnkosten, Lebensmittel und die Transportkosten die Preistreiber. In Tschechien* hingegen konnte noch im November 2021 eine relative Stabilität beim Preiswachstum beobachtet werden. Zu einer starken Zunahme kam es erst im Dezember 2021 mit 6 Prozent. Die höchsten Preissteigerungen wurden im Bereich des Transports beobachtet. Experten der tschechischen Nationalbank gehen von einer starken Preissteigerung in den nächsten Monaten aus. Es wird nicht ausgeschlossen, dass diese bald ebenfalls zweistellig sein wird. In Litauen* wird aktuell bereits ein zweistelliger Wert vom statistischen Amt errechnet. Es kam dort zu einer Dynamik der bereits seit einigen Jahren wachsenden Löhne. In Bereichen, wie der medizinischen Versorgung haben sich die Gehälter in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt.
Hohe Energiekosten als Preistreiber: Maßnahmen gegen die Inflation
Da gerade die Euro-Länder Estland und Litauen die höchsten Inflationsraten in der Region aufweisen, wird der Einfluss der jeweiligen Nationalbanken auf die Geldpolitik von den Experten vorsichtig bewertet. Zwar hat Tschechien schnell reagiert und in schnelleren und größeren Schritten als zum Beispiel Polen und Ungarn den Leitzins erhöht. Der Leitzins in Tschechien beträgt 3,75 Prozent. Polen hat den Leitzins auf inzwischen 2,25 Prozent erhöht. Die Folgen für Hypothekenkreditnehmer sind bereits spürbar. Die monatlichen Kreditraten sind deutlich gestiegen und die Aufnahme neuer Hypothekenkredite stagniert.
(Ungarn wurde seit 1995 mit Erdgas aus Russland beliefert. Jetzt handelte man einen neuen Vertrag aus. Damit hat sich Ungarn in eine erhebliche Abhängigkeit zu Gazprom begeben.)
Ungarn* will die Preise für sechs Grundnahrungsmittel ab Februar einfrieren. Die Preise für Zucker, Mehl, Öl, Milch, Hähnchenbrust und Schweinekeulen sollen auf dem Niveau von Oktober 2021 bleiben. Vorher hatte Ungarn dieselbe Maßnahme beim Benzin eingeführt. Ebenfalls unverändert sollen auch Wohnungskreditraten bleiben, damit keine vergleichbaren Effekte wie in Polen entstehen. Trotz der Erhöhung der Leitzinssätze werden die Banken die Zinssätze für Kredite nicht erhöhen. Sie müssen zwangsläufig mit Verlusten rechnen.
Tschechien hat ähnlich wie Polen die Mehrwertsteuer auf Energiequellen und Kraftstoffe vorübergehend ausgesetzt. In Polen wurde erst eine Herabsetzung der Kraftstoffabgabe eingeführt, dann wurde die Mehrwertsteuer von 23 auf 8 Prozent gesenkt. Weitere Maßnahmen dieser Art sind bereits geplant, da in Polen die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wegfallen soll. Kritiker befürchten, dass dadurch die Inflation nur verzögert wird und die Effekte im Jahr 2023 nochmals zu einer stark erhöhten Inflation führen werden. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.