„Schallende Ohrfeige“, „respektlos“: Habeck erklärt die Gas-Umlage – Feuerwerk an Wut und Warnungen folgt
Die Gas-Umlage kommt. Robert Habeck erklärte am Montag die Ampel-Pläne – schnell hagelt es Warnungen vor schlimmen Folgen. Worum es geht.
Berlin – Dass er keinen erfreulichen Termin absolviert, war Robert Habeck am Montagnachmittag deutlich anzusehen. Mit eher gequälter Miene erläuterte der Grüne die Ursachen und Folgen der neuen Gas-Umlage. Die spürbarste davon fraglos: Privatkunden und Unternehmen müssen mehr für das Gas bezahlen. Wenige Stunden zuvor hatte ein Gemeinschaftsunternehmen der Gas-Versorger die Höhe der Umlage verkündet.
Von einem alternativlosen Schritt wollte der Wirtschaftsminister und Vizekanzler nicht sprechen. Aber er stellte die Wahlmöglichkeiten recht drastisch dar. „Die Alternative ist nicht ‚keine Umlage‘. Die Alternative wäre der Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen und damit weite Teile des europäischen Energiemarktes.“ „Diese Umlage ist die gerechtestmögliche Form“, erklärte Habeck weiter.
Genau daran gibt es aber durchaus Zweifel – auch, wenn Habeck ebenso wie Kanzler Olaf Scholz flugs Entlastungen auf die Agenda hob. Sozialverbände, Parteien und Wirtschaftsvertreter sehen große Probleme auf Deutschland zukommen. Und einige nicht erledigte Hausaufgaben. Auch eine Nachfrage zur Rolle des Koalitionspartners FDP brachte den Grünen etwas ins Schwitzen.

Gas-Umlage: Neuer Ampel-Zoff? Habeck weicht Frage zur Rolle der FDP aus
Ob nicht ein steuerfinanzierter Ausgleich für die von teuren Einkaufspreisen und teils langfristig niedrigen Kundenverträgen gebeutelten Gasversorger gerechter gewesen wäre, wollte ein Journalist wissen. „Die politischen Rahmenbedingungen, unter denen diese Koalition arbeitet, sind ja vorn vorneherein klar gewesen“, beschied Habeck. Insofern habe sich nur die Frage gestellt, ob die Umlage für alle Gaskunden, oder nur für solche bei vom russischen Gas-Stopp betroffenen Anbietern erhoben werde. Die Bundesregierung habe sich für eine „breite“ Lösung entschieden.
Ob das ein Seitenhieb auf das kategorische Nein der Liberalen zu Steuererhöhungen sei? Habeck wich nach einem kurzen Schnaufen aus. „Wir haben uns auf die Umlage geeinigt“, betonte er. Es habe auch keinen Gegenantrag gegeben, „irgendetwas anderes zu machen“.
Entsprechend sind nun nur die Gaskunden betroffen – dafür aber alle von ihnen. Was die neue Umlage die Vebraucher kosten könnte, dazu kursieren schnell Berechnungen. Für eine Familie mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden könnten es 576 Euro im Jahr sein, für einen Singlehaushalt 144 Euro. Erlaubt die EU Deutschland, keine Mehrwertsteuer auf die Umlage zu erheben, sinken die Beträge entsprechend. Habeck kündigte direkt Entlastung an, sollte das nicht der Fall sein. Stark belasteten Menschen versprach er auch allgemein „gezielte“ Hilfen. Scholz sprach in einem Tweet gar von einem ganzen weiteren Entlastungspaket. Dennoch ist die Kritik groß – an weitergehenden Forderungen mangelt es nicht.
Gas-Preise – Habeck räumt ein: Weitere Umlagen könnten kommen
Das Kreuzfeuer der Mahnungen kommt aus beiden Richtungen der Betroffenen. Sozialverbände, aber etwa auch die Linke fordern neue Modell für finanziell schwächere Haushalte. Auch die CSU mahnt Hilfe an. Auf der anderen Seite sieht sich die Industrie bereits in neuen Nöten.
Noch gar nicht ausgemacht scheint übrigens, dass es bei den Mehrkosten durch die Gas-Umlage bleibt. „Diese Umlage ist nicht die einzige Umlage, die es gibt“, räumte Habeck ein - wenn auch wohl die mit dem höchsten Volumen. Er nannte die Speicher-Umlage als Beispiel. Eine Verkündung werde „bald erfolgen“. Einige Umlagen seien „alt“, aber häufig „bei Null“ gelegen. Kostenpunkte wollte Habeck nicht nennen - es werde aber „deutlich nicht“ um die Höhe der Gas-Umlage gehen.
Gas-Umlage kommt: Entlastungen für private Gaskunden – die Forderungen und Ideen am Montag
- Sozialkontingent: Die Gewerkschaft Verdi brachte einen Gaspreisdeckel für den „normalen Verbrauch“ für eine vierköpfige Familie von 12.000 Kilowattstunden ins Gespräch. Die Kosten für diese Gasmenge müssten auf dem Niveau von 2021 gedeckelt werden.
- Finanzspritzen an der anderer Stelle: Grünen-Chefin Ricarda Lang erklärte: „Eignen könnte sich neben einem stark ausgebauten Wohngeld oder einem höheren Kindergeld auch eine Neuauflage der Energiepreispauschale.“ Die FDP zeigte sich aber umgehend skeptisch. Der Sozialverband Deutschland forderte in Person seines Chefs Adolf Bauer in den Funke-Zeitungen „armutsfeste Regelsätze“, die Einführung der Kindergrundsicherung, eine Wohngeldreform und die Zahlung der 300-Euro-Energiepauschale auch an Menschen in Rente.
- Mehrwertsteuer-Ermäßigung: Nicht nur die Mehrwertsteuer auf den Kostenaufschlag durch die Umlage ist ein Ansatzpunkt: Der Energiewirtschaftsverband BDEW schlug vor, die komplette Mehrwertsteuer auf den Gas- und den Strompreis auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent zu senken, und zwar für mindestens zwei Jahre. Davon würden auch Unternehmen profitieren.
- Großes Entlastungspaket: „Die Gasumlagebelastung ohne gleichzeitiges Entlastungsprogramm zu präsentieren, ist respektlos“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der dpa. Ein Entlastungspaket sei dringend nötig. Sonst würden die Energiekosten für viele Familien zur Armutsfalle. Konkreter wurde der CSU-Politiker nicht.
- Finanzierung über Steuern statt über Umlage: Der Energieexperte der NRW-Verbraucherzentrale, Udo Sieverding, kritisierte Ungerechtigkeiten im Umlage-Modell. Wer mit Kohle, Öl oder Wärmepumpen heize, habe Glück gehabt, sagte er im TV-Sender Phoenix. Gaskunden zahlten die Zeche für nicht von ihnen getroffene Fehlentscheidungen: „Also Steuerfinanzierung wäre besser gewesen.“ Auch Grünen-Chefin Lang dachte über eine Steuerlösung nach - aber auf anderem Wege: Eine Steuer auf kriegsbedingte Übergewinne könne dabei helfen, „die zu entlasten, die unter den steigenden Preisen am stärksten leiden“.
- Andere Berechnungswege: Die Linke zweifelte an den rechnerischen Wegen zur Umlage-Erhebung. „Die Berechnung erscheint ziemlich willkürlich. Wenn Versorger, die nicht im Minus sind, die Umlage eintreiben können, ist das eine Unverschämtheit gegenüber den Bürgern“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. Details nannte auch er nicht. Bartsch drohte mit Protesten: „Wir brauchen einen heißen Herbst der Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung.“ Parteichef Martin Schirdewan dachte wie Lang an eine Übergewinnsteuer. Er rügte eine „schallende Ohrfeige“ ins Gesicht vor allem einkommensschwacher Haushalte.
- Aufschub bis zum Entlastungspaket: Noch seien viele Fragen offen - daher müsse die Regierung die Einführung der Umlage verschieben, forderte der Verbraucherzentrale Bundesverband: „Solange die Koalition über weitere Entlastungsmaßnahmen streitet, soll die Umlage steuerfinanziert werden.“
Gas-Umlage auch für die Industrie – die Forderungen aus der Wirtschaft:
- Entlastung für Unternehmen: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag wies auf steigende Kosten für Betriebe hin. „Das Gaspreisniveau hat damit nicht nur ein kritisches, sondern in vielen Fällen ein existenzgefährdendes Niveau erreicht“, erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian. „Die Wirtschaft braucht jetzt schnell Klarheit über die angekündigten Entlastungsmaßnahmen, sonst droht eine Kaskade an Betriebsschließungen und Produktionsstopps.“ Die Bundesregierung müsse dringend Wege finden, die Kosten durch die Gasumlage zu begrenzen, sagte auch der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff.
- Zeitliche Streckung: Der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte Unterstützung für besonders schutzbedürftige Unternehmen. „Die Politik sollte sich überlegen, die Umlage über 2024 hinaus zeitlich zu strecken, denn die Kosten werden viele Unternehmen überfordern“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch laut Mitteilung.
- Stütze für strauchelnde Betriebe: Die Wohnungsunternehmen riefen nach Geldmitteln vom Staaten. Diese seien besonders betroffen, „denn sie müssen die stark steigenden Kosten durch deutlich höhere Zahlungen an die Versorger jetzt schon vorfinanzieren“, erklärte der Präsident des Verbandes GdW, Axel Gedaschko. Einige sozial orientierte Wohnungsunternehmen brächten die hohen Vorauszahlungen bereits in akute finanzielle Schwierigkeiten. „Schritt eins müssen daher Bürgschaftsprogramme zur Sicherung der Liquidität von Wohnungsunternehmen sein, die ansonsten von einer Insolvenz gefährdet sind.“
Gas-Umlage für Deutschland kommt: Habeck attackiert Putin und seine Vorgänger
Allerdings gab es auch Zuspruch. Würde man auf die Umlage verzichten, stiege seitens der Versorger die Gefahr von Insolvenzen. „Kunden müssten dann zu den viel höheren tagesaktuellen Preisen Neuverträge abschließen“, sagte der Kieler Ökonom Stefan Kooths. Der Kostenanstieg sei letztlich nicht der Gasumlage geschuldet, sondern den höheren Importpreisen für Erdgas. „Sollten die Gasversorger eine Gasumlage in Höhe von brutto 2,419 Cent pro Kilowattstunde in der Breite an die Kunden weitergeben, dürfte dies die Inflationsrate gegen Jahresende um knapp einen Prozentpunkt (0,9 Prozentpunkte) anheben“, rechnete Kooths vor.
Dieses Modell ist gescheitert. Und es kommt auch nicht wieder.
Wer an der Lage seiner Ansicht nach Schuld ist, daran ließ auch Habeck keinen Zweifel: Wladimir Putin – und zumindest indirekt die Vorgängerregierungen. Putin führe einen „Wirtschaftskrieg“, erklärte der Grüne. Zugleich habe Deutschland „ein Geschäftsmodell entwickelt gehabt, das in großen Teilen auf der Abhängigkeit von billigem russischem Gas beruhte“ – „dieses Modell ist gescheitert. Und es kommt auch nicht wieder“, betonte Habeck. (fn mit Material von AFP und dpa)