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Lauterbach kündigt bei Plasberg eine Revolution an: Pflegerin bleibt kühl – und erinnert an frühere Flops

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Gast bei „Hart aber fair“.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Gast bei „Hart aber fair“. © WDR/Oliver Ziebe

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will die Fallpauschale abschaffen. Bei „Hart aber fair“ erntet er Skepsis. Einer geplagten Pflegerin gehen die Pläne nicht weit genug. 

Berlin – Frank Plasberg kündigt seinen „Hart aber fair“-Talk im Ersten unter dem Titel „Corona-Brennpunkt Krankenhäuser - zermürbt und angeschlagen wie das ganze Land?“ als Ausblick auf die pandemische Lage in Bezug auf den kommenden Winter an.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellt aber vor allem seine neue Gesundheitsreform vor. Das „System der Fallpauschale“, so Lauterbach – einst eingeführt unter SPD-Beteiligung in der GroKo – soll abgeschafft werden. Stattdessen soll das neue „Krankenhauspflegeentlastungsgesetz“ die Situation in Krankenhäusern schnellstmöglich „revolutionieren“.

Fallen die bisherigen Fallpauschalen weg, so Lauterbachs Argumentation, entstünde den Kliniken in Zukunft mehr Spielraum in der Planung der finanziellen Mittel. Außerdem räumt er ein, dass die Gewinne der Krankenhäuser derzeit teilweise auch durch die Überbelastung des Pflegepersonals erwirtschaftet würden.

„Hart aber fair“ - diese Gäste diskutierten mit:

Dass der Umbau die Kosten für das Gesundheitssystem erhöhe, führe aber noch zu Diskussionen mit dem Finanzministerium. Lauterbach: „Auf jeden Fall bleibt der Zielkonflikt bestehen: Das System wird teurer.“ Wäre es auch ein Schritt, unrentable Häuser zu schließen oder mit anderen Kliniken zusammenzulegen, fragt Moderator Frank Plasberg und nennt als Beispiel eine Klinik in Starnberg, die durch zahlreiche Kliniken in der Umgebung ersetzt werden könnte. Lauterbach will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, vor allem in strukturschwachen Gegenden gebe es zu wenige Krankenhäuser, meint er.

v.l.n.r. Karl Lauterbach (SPD, Bundesgesundheitsminister), Christina Berndt (Wissenschaftsredakteurin bei der Süddeutschen Zeitung), Lisa Schlagheck (Fachgesundheits- und Krankenpflegerin am Universitätsklinikum Münster), Klaus Holetschek (CSU, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege) und Martin Machowecz (Journalist; Leiter des ZEIT-Ressorts „Streit“).
Karl Lauterbach, Christina Berndt, Lisa Schlagheck, Klaus Holetschek und Martin Machowecz bei „Hart aber Fair“ (v.l.n.r.). © WDR/Oliver Ziebe

Krankenpflegerin Lisa Schlagheck vom Universitätsklinikum Münster zeigt wenig Begeisterung für Lauterbachs Ankündigung. Die Notaufnahme-Fachkraft moniert, dass ihre Zunft weiterhin ausgeschlossen bleibe, ebenso wie Transportabteilungen und Radiologie - da sich das neue Gesetz nur auf die „bettenführenden Pflegebereiche“ beziehe. Schlagheck, die bereits mehrere Wochen für einen ausreichenden Personalschlüssel bei Nachtschichten gestreikt hat, stellt einen erneuten Streik in Aussicht, so nicht überzeugend nachgebessert werde.

Pflegerin erzählt von drastischen Situationen in der Notaufnahme

Lauterbach gelobt vor den Kameras Nachbesserung: „Es gibt jetzt einen Änderungsantrag“, der auch die Intensivmedizin berücksichtige, verspricht er. Schlagheck bleibt dennoch distanziert: „Ich bin so ein bisschen skeptisch durch andere Versuche uns zu entlasten, die es letzten Endes nur noch verschlimmert haben.“ Lauterbach preist sein neues Gesetz weiter an: „Es wird die größte Reform im Krankenhaussektor seit 20 Jahren“, sagt er.

Plasberg fordert Schlagheck auf, in der Sendung darzustellen, wie ihr Klinikalltag derzeit aussehe. Und die Pflegerin packt aus: Patienten, die stundenlang in der Notaufnahme warten müssten, darunter auch kleine Kinder. Stau von Behandlungen bis hin zur Intensivstation. Patienten, die vor allem nachts, nicht mehr ausreichend versorgt werden könnten. Notfallbetten, aber auch teils Behandlungen und vertrauliche Patientengespräche auf Gängen. Und eben der dauerhafte Personalmangel, der bei den übrig gebliebenen Kollegen in der Pflege immer öfter zu „körperlicher und emotionaler Erschöpfung“ führe.

Plasberg ergänzt die Darstellung anschaulich mit einem Einspieler aus einer Klinik-Notaufnahme in Schleswig-Holstein: Rund 120 Patienten gibt es dort täglich zu versorgen, 20 Zimmer stünden dem Krankenhaus dafür zur Verfügung, wären nicht elf davon mit Corona-Patienten belegt. Schon allein dieser Umstand führe oft zu stundenlangen Wartezeiten für die Patienten.

Lauterbach zum Oktoberfest: Findet es erst richtig, doch dann kommt das „Aber …“

In einem Punkt ist sich Lauterbach mit seinem ebenfalls eingeladenen bayerischen Amtskollegen Kollegen Klaus Holetschek (CSU) einig: Dass das Oktoberfest stattgefunden hat sei richtig, so Lauterbach. Doch moniert er schon im nächsten Satz: „mehr Sicherheit“ wäre möglich gewesen - etwa durch Testungen und Masken im Bierzelt. Holetschek verweist auf die aktuellen Fallzahlen und befindet, die Corona-Lage sei inzwischen beherrschbar. Er spricht sich dafür aus, die aktuellen Maßnahmenreglungen weiterhin den Regierungen der Bundesländer zu überlassen.

Zeit-Redakteur Martin Machowecz stimmt zu und wagt sogar den bisher verpönten Vergleich mit dem Grippevirus: Der Coronavirus sei inzwischen nicht gefährlicher als die Grippe, so der Journalist: „Wir leben in einer Zeit, in der Corona nicht mehr das ist, was es einmal zu Beginn dieser Pandemie war.“

Journalistin warnt: Die Lage der Pandemie könne sich auch wieder verschärfen

Süddeutsche-Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt, die in der Sendung gestand, das Oktoberfest auch aus Gründen des Coronavirus gemieden zu haben, bewertet die Lage anders. Sie appelliert, „die Pandemie weiterhin ausreichend ernst zu nehmen“, da sich die Lage auch „wieder verschärfen“ könne.

Lauterbach ergänzt, „man kann ja auch Lebensfreude genießen und haben, ohne dass man in unnötige Risiken geht“ und spricht sich für die kommenden Wintermonate für die Maskenpflicht in Innenräumen aus. Der Gesundheitsminister verweist auf die Weltgesundheitsorganisation, die Corona weiterhin als Pandemie einstuft. Lauterbach sieht keinen Anlass zur Entwarnung: „Wir haben neue Varianten, wir rechnen damit, dass die neuen Varianten ansteckender sind“.

Fazit des „Hart aber fair“-Talks

Der Talk wirkte ein wenig wie eine Lauterbach-Plattform, auf der er seine Gesetzesform ausbreiten konnte. Auch Moderator Frank Plasberg wirkte wenig distanziert. Diskussionen über das Gesetz gab es wenig, die anderen Gäste schienen von der Idee überrumpelt. Allein die Krankenpflegerin der Notaufnahme traute sich, eine kritische Meinung zu vertreten. (Verena Schulemann)

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