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Nouripour gibt Versprechen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien: „Aber ohne China wird es nicht gehen“

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Von: Jens Kiffmeier

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Ob Batterien für E-Autos oder Solarzellen: Deutschland hängt bei der Energiewende von China ab. Aber komplett entkoppeln? Kaum möglich, sagt Omid Nouripour.

Hamburg – Omid Nouripour schaut im Hamburger Hafen nach oben und blinzelt in die Sonne. Rund 100 Meter über ihm surrt der Kran hin und her. Ein Container nach dem anderen wird vom Schiff abgeladen. Hinter dem Grünen-Vorsitzenden stapeln sich tausendfach die 40-Fuß-großen Boxen im Abhollager. Alles, was Deutschland zu seinem Glück braucht und in Übersee billig produzieren lässt, kommt hier am Terminal Altenwerder an. „Da sind jetzt nicht nur T-Shirts und Spielzeuge drin“, sagt der Parteichef nachdenklich. Auch wichtiges Zubehör für die deutsche Energiewende: Batterien für E-Autos, Solarzellen, aber auch seltene Erden.

Erneuerbare Energien: Deutschlands Abhängigkeit von China besorgt Parteichef Omid Nouripour (Grüne)

Der Großteil der Güter hat eine halbe Weltreise hinter sich. Rund ein Drittel aller Container werden aus Asien angeliefert, vor allem aus China. Diese Abhängigkeit treibt vielen Politikern mittlerweile die Sorgenfalten in die Stirn. Denn eine zu große Abhängigkeit von einem Lieferanten kann am Ende teuer werden. Russlands Gas-Embargo hat das in diesem Sommer brutal vor Augen geführt. Was passiert, wenn China plötzlich eine Sonderrolle spielt? Bereits in der Corona-Pandemie kamen die Lieferketten durcheinander und legten hierzulande teilweise die Produktion lahm. Deswegen machte Omid Nouripour auf seiner Sommertour auch einen Zwischenstopp in Hamburg. Zeit für ein Gespräch über neue Abhängigkeiten und Gefahren für die Energiewende.

Omid Nouripour im Interview mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA: Deutschland braucht China im Kampf gegen die Klimakrise

Der Ukraine-Krieg hat gezeigt: Es ist schlecht, wenn man Gas fast nur aus Russland bezieht. Viele andere Produkte kommen aus China. Sollte sich Deutschland da nicht lieber unabhängiger machen?

Omid Nouripour: Es geht nicht darum, wie einige fordern, Deutschland komplett zu entkoppeln. Die Kooperation mit China bleibt notwendig, allein deswegen, weil wir ohne die Großmacht die Klimakrise nicht gelöst bekommen.

Was heißt das konkret? 

Das heißt, dass China ein wichtiger Handelspartner bleiben wird. Aber wir müssen anerkennen, dass wir es mit Akteuren zu tun haben, die jederzeit staatlich gesteuert werden können und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten im schlechten Fall politisch ausnutzen würden. So wie auch im Fall von Russland, das mit wenig überzeugenden Ausreden den Gasfluss reduziert, aus rein machtpolitischen Gründen. Ein ähnliches Vorgehen wäre auch bei China denkbar. Deshalb sollten wir uns in der Produktion gerade in Schlüsselbranchen unbedingt unabhängiger machen. 

Hat die Lieferketten im Blick: Parteichef Omid Nouripour (Grüne) bei seiner Sommertour im Hamburger Hafen.
Hat die Lieferketten im Blick: Parteichef Omid Nouripour (Grüne) bei seiner Sommertour im Hamburger Hafen. © Christian Charisius/dpa

Grünen-Chef Nouripour: Deutschland exportiert das Lithium aus China

Vor allem beim Lithium, das für Batterien in E-Autos oder Solarzellen benötigt wird, besitzt China fast ein Monopol. Droht uns nach der Gaskrise auch eine Krise beim Ausbau der erneuerbaren Energien?

Es ist richtig, dass die Lieferketten sehr abhängig sind, nicht nur beim Lithium, auch bei seltenen Erden. Mir versichern aber viele Unternehmen, dass sie mit Hochdruck daran arbeiten, genau das zu ändern. 

Zur Person

Omid Nouripour blickt auf eine lange Karriere im Bundestag zurück. Seit 2006 sitzt er im deutschen Parlament. Bei den Grünen trat er dann vor wenigen Monaten ins Rampenlicht. Nach der erfolgreichen Bundestagswahl 2021 wechselten die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock in ein Ministeramt – und Nouripour übernahm zusammen mit Ricarda Lang den Vorsitz. Seit Februar 2022 ist die neue Doppelspitze im Amt.

Entscheidet am Ende nicht einfach der Preis? Und da ist China unschlagbar.

Unternehmen setzen nicht einfach auf billige Rohstoffe, die man von irgendwoher bekommt. Das ist ein Irrglaube. Die Firmen brauchen Planungssicherheit, und sie nehmen aktuell wahr, dass China in der Lage ist, die unternehmerische Freiheit aus politischen Gründen sehr schnell zu beschneiden. Deshalb arbeiten viele an alternativen Modellen. Dafür bleibt nicht viel Zeit, weil wir nicht wissen, ob es in der Straße von Taiwan bald zu einer Eskalation und zur Störung der Lieferketten kommen kann

Erneuerbare Energien: Stockt der Ausbau? Grünen-Chef Nouripour wehrt sich gegen Vorwurf

Kein Gas aus Russland, Störung der Lieferketten – beschleicht Sie die Angst, dass die kurzfristigen Entwicklungen die langfristigen Ziele überlagern und dass am Ende der Ausbau der erneuerbaren Energien erlahmen wird?

Nein. Wir haben vor dem Sommer das größte Paket zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien seit Jahrzehnten verabschiedet – trotz der aktuellen Krise. Klar, wir müssen jetzt kurzfristig gut durch die nächsten ein bis zwei Winter kommen, so lange werden wir russisches Gas brauchen. Aber die langfristigen Ziele werfen wir nicht über Bord. Im Gegenteil, wir gehen den Weg eher schneller, das kann ich versichern.

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Dennoch fordern viele Stimmen, vornehmlich aus Bayern, schon den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken.

Die Debatte über Atomkraft als Zukunftstechnologie vergisst, dass wir über eine sehr teure Hochrisikotechnologie sprechen. Und in Bayern überdeckt sie ein ganz anderes Problem: Die Landesregierung hat über Jahre den Ausbau von Stromtrassen und erneuerbaren Energien bewusst verzögert, nun könnte es im schlimmsten Fall zu Versorgungsengpässen kommen. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Wir müssen sehr viel tun beim Ausbau der Erneuerbaren. Dabei geht es ja nicht nur um Unabhängigkeiten, sondern um Klimaschutz. Die furchtbaren Dürren und Brände in Europa und auch hier in Deutschland haben die Dringlichkeit deutlich gezeigt.

Gaskrise in Deutschland: Hohe Energiekosten beschleunigen laut Nouripour die Energiewende

Dennoch könnte die Unterstützung im Winter schnell bröckeln, wenn die Rechnungen für hohe Gaspreise ins Haus flattern. Werden die Deutschen dann kriegsmüde und pragmatischer, was Kompromisse mit Russland angeht?

Ich erlebe eine große Solidarität mit der Ukraine. Und wenn der Krieg drei Tage mal nicht auf Seite eins steht, dann heißt das nicht, dass eine Kriegsmüdigkeit herrscht. Aber klar ist: Wir müssen die sozialen Härten abfedern, denn viele Menschen wissen schon jetzt kaum, wie sie die hohen Rechnungen zahlen sollen. Und wir müssen den Menschen immer wieder verständlich machen, was für uns als Demokratien in der Ukraine auf dem Spiel steht.

Grünen-Chef Omid Nouripour steht vor einer grünen Tür und lächelt. Der Parteivorsitzende sorgt sich beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zunehmend wegen der Abhängigkeit zu China.
Ist wegen der Abhängigkeit von China beim Ausbau der Erneuerbaren Energien besorgt: Parteichef Omid Nouripour (Grüne) © Kay Nietfeld/dpa

Ist das nicht zu optimistisch? Die ersten Lager rufen zum „Wutwinter“ auf.

Meine Sorge gilt den existenziellen Nöten der Menschen, nicht denjenigen, die zu Wut aufrufen. Die große Mehrheit der Deutschen weiß, dass die Gaskrise durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst worden ist und dass wir zusammenstehen müssen. Als Koalition haben wir den Auftrag, die Zumutungen gerade für die zu reduzieren, die die steigenden Preise besonders deutlich spüren.

Hohe Gaspreise: Omid Nouripour und die Grünen versprechen drittes Entlastungspaket

Die Einigung auf ein drittes Entlastungspaket ist also möglich – trotz inhaltlicher Differenzen innerhalb der Koalition?

Ja. Wir haben bereits zwei Pakete über 30 Milliarden Euro geschnürt. Wir lassen die Menschen nicht allein. 

Welche Maßnahmen sind für Sie unverhandelbar?

Es gibt etliche Vorschläge. Wir dürfen die großen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Deshalb sind wir schon in den ersten zwei Entlastungspaketen auch strukturelle Maßnahmen angegangen, wie zum Beispiel Gesetze zur Energieeffizienz und Energieeinsparungen. Aber natürlich geht es im nächsten Paket erneut darum, die Menschen in unserer Gesellschaft zu entlasten, und da sehe ich vordringlich Handlungsbedarf bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Konkret befürworte ich zudem eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket.

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