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Erdogan droht Griechenland: Experte sieht „Einschüchterungsversuche“ - Ex-Admiral wirbt für Verständnis

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Von: Bedrettin Bölükbasi

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Ankara und Athen streiten um Ägäis-Inseln. Der türkische Ex-Admiral Cihat Yayci erklärt bei IPPEN.MEDIA Erdogans Vorgehen, Türkei-Experte Seufert hält dagegen.

München — Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland kühlen nicht ab. Im Gegenteil. Athen werde einen „hohen Preis“ zahlen, wenn es weiterhin den türkischen Luftraum verletze und türkische Kampfjets über der Ägäis „bedrängt“, sagte Recep Tayyip Erdogan am Samstag bei einer Kundgebung in der Stadt Samsun am Schwarzen Meer. Eine unverhohlene Drohung, die er laut RND auf einer Technikmesse noch verschärfte: „Wir können plötzlich über Nacht kommen“, sagte er demnach.

Es brodelt in der Ägäis. Es geht schließlich unter anderem um Öl-Vorkommen im östlichen Mittelmeer. Nun will Ankara ein weiteres Bohrschiff - „Abdülhamid Han“ - in das Gebiet schicken, was zur erneuten Eskalation führen könnte. Aber auch die Inseln in der Ägäis sind Gegenstand der Auseinandersetzung: Athen beschwert sich über Luftraumverletzungen, die Türkei hingegen behauptet, Griechenland militarisiere die Inseln rechtswidrig. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte dem Nachbarland bereits mehrmals mit Krieg.

Im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA erklärt Türkei-Experte Günter Seufert, was Ankara fordert und was es mit dem Streit zwischen den Nachbarländern auf sich hat. Der Leiter der Forschungsgruppe Türkei/Centrum für angewandte Türkeistudien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik sagt: „Die Türkei fordert eine Demilitarisierung aller ostägäischen Inseln, die zu Griechenland gehören. Sie sagt, wenn das nicht geschieht, dann wird sie die Oberhoheit oder Souveränität Griechenlands über diese Inseln in Frage stellen.“ In Griechenland fürchte man, „dass das in der Form passieren könnte, dass zum Beispiel die türkische Marine die Zufahrt zu diesen Inseln blockieren könnte.”

Günter Seufert, Leiter der Forschungsgruppe Türkei/Centrum für angewandte Türkeistudien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Günter Seufert, Leiter der Forschungsgruppe Türkei/Centrum für angewandte Türkeistudien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). © Günter Seufert

Zur Person

Günter Seufert ist Leiter der Forschungsgruppe „Türkei/Centrum für angewandte Türkeistudien“ bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ziel der Forschungsgruppe ist nach eigenen Angaben, „die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei und den europäisch-türkischen Beziehungen“ zu analysieren. So wolle man „Impulse für die langfristige Gestaltung der Beziehungen zur Türkei“ geben. Seufert lebte und arbeitete seit 1996 einige Jahre in Istanbul.

Streit zwischen Türkei und Griechenland: Experte unterscheidet zwei Ebenen

Besonders die türkischen Verletzungen des griechischen Luftraums sorgen für Ärger zwischen Ankara und Athen. Seufert zufolge ist an dieser Stelle eine Unterscheidung zwischen zwei Sachverhalten wichtig – denn offenbar trägt eine Regelung von Griechenland zum Streit bei. „Zum einen hat die griechische Seite die Territorialgewässer der Inseln auf sechs Meilen, aber die Lufthoheit auf zehn Meilen festgesetzt. Das ist eine Position, die zumindest umstritten ist“, so Seufert. Die Türkei erkenne diese zehn Meilen nicht an. Der Türkei-Experte ergänzt: „Das heißt, nicht jede Lufthoheitsverletzung, die die Griechen monieren, ist nach allgemeiner Rechtsauffassung auch eine.“

Im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA machte auch der türkische Ex-Admiral Cihat Yayci auf diesen Streitpunkt aufmerksam. Yayci diente von 1988 bis 2020 bei der türkischen Marine und stieg bis zur Position des Stabschefs auf. „Sehen Sie sich mal den Luftraum an. Es gibt keinen Staat auf der Welt, dessen Luftraum größer als die Territorialgewässer ist“, führt Yayci an. Ihm zufolge kann die Türkei nur dann kritisiert werden, wenn sie auch die sechs Meilen verletzt. „Aber wenn wir in die zehn Meilen reinfliegen, während die territorialen Gewässer nur sechs Meilen sind, dann kann nichts gesagt werden“, so der Ex-Admiral. Seine Erklärung stützt er mit einem Beispiel: „Sagen wir, man ist mit einer Fregatte unterwegs und befindet sich in einer Entfernung von 6,1 Meilen. Da gibt es keine Verletzung. Aber sobald von der Fregatte ein Hubschrauber abhebt, soll es eine Verletzung geben. Wie kann so etwas sein?“

Der türkische Ex-Admiral Cihat Yayci.
Von Erdogan gestutzt: Der türkische Ex-Admiral Cihat Yayci. © Privat

Zur Person

Der 1966 geborene Cihat Yayci übernahm verschiedene Aufgaben in Kriegsschiffen der türkischen Seestreitkräfte, und war unter anderem als stellvertretender Kommandeur der Fregatten „TCG Yavuz“ und „TCG Kemalreis“ tätig. Von 2005 bis 2006 war er Kommandeur der „Kemalreis“. Bekannt wurde Yayci als Mitschöpfer des „Blauen Vaterlandes“, einer Doktrin, über die von der Türkei beanspruchten Seerechtsgebiete.

Yaycis Militärkarriere endete abrupt. Per Dekret, das vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterzeichnet wurde, ist er am 16. Mai 2020 von seinem Amt entbunden worden. Er wurde allerdings nicht vom Militär entfernt, sondern zur Verfügung des Generalstabs gestellt - eine Herabstufung. Yayci verkündete anschließend am 18. Mai seinen Rücktritt. Die oppositionelle Zeitung Sözcü berichtete unter Berufung auf das Rücktrittsschreiben, der Admiral habe betont, seine Würde sei erschüttert und er das Opfer einer „Verschwörung“ geworden.

Türkei-Experte Seufert: Ankaras Luftraumverletzungen sind „ernsthafte Provokation“

Die türkische Hinweis auf die Zehn-Meilen-Problematik rechtfertige aber keineswegs die Aktionen der türkischen Luftwaffe, findet Seufert. Die Türkei verletze klar den griechischen Luftraum. Es gebe „zunehmend auch Überflüge von türkischen Militärjets direkt über die Inseln und sogar über das griechische Festland“, sagt Seufert und stellt fest: „Das sind ohne Zweifel Luftraumverletzungen.“ Dem Experten zufolge ist sich Ankara durchaus bewusst, dass es sich bei den Luftraumverletzungen um eine „ernsthafte Provokation“ handelt. Außerdem gehe es hier um einen „Einschüchterungsversuch“, da sich die griechische Seite militärisch nicht mit der Türkei messen könne.

Seufert findet es „relativ absurd“, dass sich die Türkei bedroht fühlt. Der Experte verweist auf die „maritime Überlegenheit“ der Türkei und den „gewaltigen“ Ausbau der türkischen Flotte in den letzten zehn Jahren sowie auf türkische Ansprüche auf Inseln in der Ägäis: „Damit stellt die Türkei territoriale Forderungen, weshalb eher Griechenland sich bedroht fühlen könnte. Es ist eher so, dass auf den Inseln die Befürchtung vor einer türkischen Eskalation wächst.“

Türkischer Ex-Admiral wirft Athen vor, eine Invasion der Türkei zu planen

Dem türkischen Ex-Admiral zufolge ist allerdings das Gegenteil der Fall: Yayci sieht die Türkei von einem griechischen Angriff bedroht. Im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA warf er Athen vor, eine Invasion in der Türkei zu planen. Genau hierfür militarisiere man die Inseln: „Sie haben Brigaden, Divisionen, Panzer, Raketen, Artillerie, also alles Mögliche stationiert.“ So zog er einen Vergleich zur Zeit des türkischen Unabhängigkeitskrieges: „Wie startete die Invasion von Westanatolien damals? Indem Soldaten aus den Lesbos- und Chios-Inseln in Izmir landeten.“

Laut Yayci geht es beim Streit auch um die Territorialgewässer. Griechenland wolle die äußere Grenze von 6 auf 12 Meilen verschieben, wirft Yayci vor und fügt hinzu: „Dies kann nicht akzeptiert werden, zumal die Türkei in der Ägäis eine viel längere Küste hat.“ Sollte Griechenland territoriale Gewässer tatsächlich auf 12 Meilen ausdehnen, beschwerte er sich, „dann werden 13 Prozent an internationalem Gewässer griechisches Hoheitsgebiet“. Die Türkei ist besorgt über eine Ausweitung griechischer Kontrolle.

Yayci zufolge drohe allerdings nur dann ein Krieg, wenn Griechenland tatsächlich eine Änderung der territorialen Gewässer vornimmt. Türkei-Experte Seufert schätzt einen Krieg als „unwahrscheinlich“ ein und sagt: „Ich glaube, dass die Türkei weiß, dass sie bis an die Grenzen des Möglichen gegangen ist. Zu Scharmützeln kann es immer kommen, aber ein Krieg, das sehe ich nicht.“ Dabei verwies Seufert auch auf die militärischen Partner Griechenlands wie die USA oder Frankreich.

„Blaues Vaterland“

Das „Blaue Vaterland“ (türkisch: Mavi Vatan) gilt als die türkische Doktrin in von Ankara beanspruchten Seerechtsgebieten. Den Begriff prägte 2006 als Erster der türkische Ex-Admiral Cem Gürdeniz. In den Jahren darauf entwickelte ihn Ex-Admiral Yayci weiter. Das „Blaue Vaterland“ wird oft auch als Doktrin für die „Maritimisierung“ der Türkei beschrieben. Eine Doktrin, die die Interessen der Türkei in ihren Seerechtsgebieten ausformulieren und zeigen soll, dass Seegebiete genauso wichtig sind wie das Land sowie dass die Zukunft auch mit Blick auf Energieressourcen in der See liegt. In der Türkei ist der Name der Doktrin inzwischen in aller Munde. Besonders nach dem Seerechtsabkommen mit Libyen erhielt sie große Aufmerksamkeit. Denn sie stellt gewissermaßen eine semi-offizielle Deklaration der türkischen Seerechtsgebiete dar, die auch umstrittene Gebiete einschließt. Das Abkommen mit Libyen gilt als eines der konkretesten Schritte im Rahmen der Doktrin. Griechenland bezeichnet das Abkommen jedoch als „illegal“.

Griechenland und die Türkei im Streit: Wie könnte eine Schlichtung aussehen?

Wie aber könnte das Ergebnis eines internationalen Schlichtungsverfahrens aussehen? Beide Seiten werfen sich vor, einen Prozess vor internationalen Gerichten abzulehnen. So behauptete der türkische Admiral Yayci, Griechenland weigere sich, alle Streitpunkte als ein Paket zu behandeln. Dabei geht es laut der türkischen Perspektive auch um den Luftraum und 152 Inseln und Inselchen in der Ägäis, die eigentlich nicht namentlich an Griechenland abgetreten worden seien. Oft will die Türkei auch die Situation der türkischen Minderheit in Griechenland vor Gericht bringen.

Laut Seufert müssten im Falle eines internationalen Verfahrens beide Seiten Zugeständnisse machen: „Da geht es ja um maritime Grenzen, um ausschließliche Wirtschaftszonen der beiden Staaten. Beide Staaten bringen Maximalforderungen vor, es gibt also Raum für Kompromiss.“ Wie würde das Verfahren konkret enden? Seufert lieferte dazu eine Einschätzung: „In der Ägäis würde ein Schiedsgerichtshof wahrscheinlich eher zugunsten Griechenlands entscheiden, weil hier die Positionen der Türkei klar überzogen sind. Im östlichen Mittelmeer ist es wohl Griechenland, das ein Stück weit von seinen Forderungen abrücken müsste. Zum Beispiel bei der Position um Kastellorizo, wo die Griechen sehr abenteuerliche Positionen vertreten.“

Die Insel Kastellorizo, auch Meis genannt, liegt in nur 2 Kilometer Entfernung zur türkischen Küste in Antalya.

Türkische Drohungen gegen Griechenland: Der Konflikt in der Ägäis droht zu eskalieren.
Türkische Drohungen gegen Griechenland: Der Konflikt in der Ägäis droht zu eskalieren. © Tolga Adanali/Imago

Spannungen mit Griechenland: Welche Rolle spielen die türkischen Wahlen?

So sehr die Spannungen zwischen den beiden Ländern anhalten, so nützlich könnten sie Erdogan noch sein. Vor den Wahlen 2023 könnte er damit für einen tieferen nationalen Zusammenhalt sorgen. „Ja, es sind starke innenpolitische Motive“, antwortet Türkei-Experte Seufert klar auf diese Frage. „Es geht um Machterhalt, es geht um den Wahltermin, der näher rückt“, so Seufert weiter. „Solche militärischen Manöver, solche Konflikte“ würden der Regierung helfen. Die Wirkung dauere zwar meist nicht länger an als zwei, drei Monate. „Aber außenpolitisch zu eskalieren, um innenpolitisch die Reihen zu schließen, ist mittlerweile ein Muster türkischer Politik”, bemerkt der Experte des SWP.

Mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage, die steigende Inflation, die ungeordnete Ansiedlung von Millionen Flüchtlingen in Städten sowie Korruption in Erdogans Umfeld macht sich Unmut in der türkischen Bevölkerung breit. Erdogan dürfte also versucht sein, seine Bürger davon abzulenken. Ob mit einer neuen Regierung auch ein neuer Umgang mit Griechenland einhergehen würde, ist jedoch fraglich. Denn nicht selten vertritt ein Großteil der „Republikanischen Volkspartei“ (CHP) in dieser Frage eine noch aggressivere Haltung. Gut möglich also, dass die Spannungen zwischen den Nachbarn auch nach der Wahl 2023 bestehen bleiben. (bb)

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