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„Alarmierender“ Plan Chinas: Tibet soll nicht mehr Tibet heißen

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Von: Sven Hauberg

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Mit einem neuen Namen für die Region will China von den Menschenrechtsverletzungen in Tibet ablenken. Es wäre nicht das erste Mal, dass Peking Begriffe zu seinen Gunsten umdeutet.

München/Lhasa/Peking – Chinas Regierung will, dass wir Tibet nicht mehr Tibet nennen. Zumindest beschleicht einen dieser Verdacht, wenn man in diesen Tagen die englischsprachige Ausgabe der Global Times liest, eines chinesischen Propagandablatts. „Wachstum der Zivilluftfahrt in Xizang bleibt dynamisch“, ist etwa ein Artikel von Mitte Oktober betitelt, ein anderer beschäftigt sich mit der „Entwicklung von Chinas Xizang im vergangenen Jahrzehnt“.

Nomade in Tibet
Nomade in Tibet: China erhöht die Kontrolle über die Region (Archivbild). © Lai Xinlin/Imago

Xizang – das ist der chinesische Name für Tibet, jene riesige Region im Westen des Landes, die 1950 von Chinas Volksbefreiungsarmee besetzt wurde. Seit diesem Jahr, so eine Untersuchung des China Media Projects, verwendet die Global Times auch in ihrer englischen Ausgabe den Namen Xizang regelmäßig. Und auch in Chinas Außenministerium spricht man in übersetzten Mitteilungen neuerdings nicht mehr von Tibet, sondern vom „westlichen Speicher“ – so lässt sich der Name Xizang ins Deutsche übersetzen.

Der Versuch, Tibet umzubenennen, sei „alarmierend“, sagt Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet (ICT), im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Müller sieht darin einen „Ausdruck dessen, dass die Kommunistische Partei alles umschreiben und ihrer Ideologie anpassen möchte“. Der Name Tibet, so Müller, stehe einerseits für die lange Geschichte des tibetischen Volkes, vor allem im Westen aber eben auch für die brutale Unterdrückung der Tibeter durch die chinesische Regierung. Mit dem neuen Namen Xizang wolle die chinesische Regierung dieses Kapitel der tibetischen Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein der Welt tilgen und gleichzeitig unterstreichen, dass Tibet ein Teil Chinas sei.

Chinas Menschenrechtsbegriff: „Der Einfluss der Kommunistischen Partei nimmt zu“

Chinas Regierung versucht schon länger, Begriffe in ihrem Sinne umzudeuten. Mal ist das eher harmlos, etwa wenn Peking fordert, der Westen solle zum höchsten Berg der Welt nicht mehr Mount Everest sagen, sondern den tibetischen Namen Qomolangma verwenden. Problematischer wird es, wenn China durchzusetzen versucht, was unter Menschenrechten oder Demokratie verstanden werden soll. So bezeichnet sich das autokratisch regierte Land selbst als demokratisch und behauptet, es respektiere die Menschenrechte – meint damit aber etwas völlig anderes als die Länder des Westens, in denen diese Begriffe ihren Ursprung haben.

Menschenrechte sind für China ausschließlich soziale Rechte – also das Recht auf Nahrung, Gesundheit, Wohnung und andere essenzielle Dinge des Lebens. Bürgerliche oder politische Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder politische Mitbestimmung klammert Pekings Definition aus. „Menschenrechte sind nicht das Monopol einer kleinen Anzahl von Ländern“, sagte Chinas Außenminister Wang Yi im vergangenen Jahr in einer Rede vorm UN-Menschenrechtsrat – und machte deutlich, dass Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung für seine Regierung Priorität hätten. „Der Einfluss der Kommunistischen Partei in internationalen Gremien nimmt zu“, warnt Kai Müller von der ICT.

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Vielen Staaten kommt Pekings Definition gerade recht, vor allem dann, wenn sie es mit der Wahrung der Menschenrechte selbst nicht so genau nehmen. Das war zuletzt Anfang Oktober zu sehen, als der UN-Menschenrechtsrat eine von westlichen Staaten beantragte Debatte über die Lage in der Provinz Xinjiang ablehnte. Unter anderem Venezuela, Kuba, Pakistan und Katar stellten sich auf die Seite Chinas, das Menschenrechtlern zufolge in Xinjiang Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslagern gefangen hält. China wiederum sagt, es handele sich dabei um freiwillig besuchte Bildungseinrichtungen. Der Regierung gehe es in Xinjiang darum, angesichts terroristischer Bedrohungen für Stabilität zu sorgen. Zudem verweist Peking gern auf die gestiegene Lebenserwartung der Menschen in Xinjiang und die verbesserte wirtschaftliche Situation.

Lage der Tibeter in China: „Sie fühlen, dass ihre Identität zerstört wird“

Auch in Tibet achtet China gemäß der eigenen Lesart die Menschenrechte. Bei jeder Gelegenheit pocht die Regierung von Staats- und Parteichef Xi Jinping darauf, dass es den Tibeterinnen und Tibetern heute besser gehe als noch vor einigen Jahrzehnten. Dabei ist Tibet noch immer eine der ärmsten chinesischen Provinzen, und von einer Achtung der Menschenrechte im eigentlichen Sinne kann kaum die Rede sein. Immer wieder zünden sich Menschen in Tibet selbst an, um gegen die repressive Herrschaft der Kommunistischen Partei zu demonstrieren. „Sie fühlen, dass ihre Identität zerstört wird und dass sie keine Freiheiten haben“, sagte Penpa Tsering, Chef der tibetischen Exilregierung im indischen Dharamsala, unlängst im Interview mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Die tibetische Sprache werde unterdrückt, ebenso die freie Religionsausübung. Sein Volk sterbe „einen langsamen Tod“, so Tsering.

Zuletzt wurde bekannt, dass im September sechs Tibeter wegen angeblicher „Gefährdung der Staatssicherheit“ und „Anstiftung zum Separatismus“ zu Haftstrafen von vier bis 14 Jahren verurteilt wurden. Das berichten Menschenrechtsorganisationen. Die Männer hätten „offensichtlich nichts weiter getan als offen und friedlich ihre Meinung zu äußern“, so Menschenrechtler Müller. Zudem drangen Details eines großangelegten Programms der chinesischen Regierung, mit dem massenhaft DNA-Proben der tibetischen Bevölkerung gesammelt werden, an die Öffentlichkeit. Für Kai Müller ein weiteres Anzeichen dafür, dass China ein „hoch technisierter Überwachungsstaat“ sei, „der keine Grenzen kennt“.

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