FDP-Verteidigungs-Expertin: „Wir müssen feststellen, dass sich China immer aggressiver verhält“
Keine Waffen für Taiwan, aber weniger Abhängigkeit von Peking: Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert eine Neuausrichtung der deutschen China-Politik.
München/Berlin – Deutsche Politiker geben sich derzeit in Taipeh die Klinke in die Hand: Zum dritten Mal in nur drei Monaten war in dieser Woche eine deutsche Bundestagsdelegation in Taiwan, um dem von China bedrohten Land ihre Unterstützung zuzusichern. Angeführt wurde die Gruppe von FDP-Abgeordneten von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA erklärt Strack-Zimmermann, warum sie Waffenlieferungen für Taiwan ablehnt und die deutsche Wirtschaft in die Pflicht nimmt.
Frau Strack-Zimmermann, während Ihres Taiwan-Besuchs haben Sie dem Land die Unterstützung der Bundesrepublik zugesagt. Waffenlieferungen lehnen Sie allerdings ab. Wie passt das zusammen?
Die Frage nach Waffenlieferungen stellt sich gar nicht, schon alleine, weil die Regierung in Taipeh an uns nicht mit einem entsprechenden Wunsch herangetreten ist. Dazu hat das Land andere Partner in der Welt.
Wenn wir die Fragen von Waffenlieferungen an Taiwan an andere Staaten auslagern: Stehlen wir uns da nicht aus der Verantwortung?
Neben wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe liefern wir an die Ukraine derzeit in erheblichem Umfang auch Waffen und diverses technisches Material. Diese Erwartungshaltung an uns hat Taiwan nicht. Die Regierung in Taipeh sieht in uns vielmehr die Wirtschaftskraft Europas. Von uns wünscht sich die taiwanische Regierung daher, dass wir unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu China hinterfragen.
„Wir dürfen unsere Infrastruktur nicht naiv dem Einfluss Chinas ausliefern“
Deutsche Unternehmen investieren allerdings noch immer fleißig in China, zuletzt hat BASF Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro angekündigt …
Der Handel mit China soll nicht abgebunden werden. Es geht darum, die richtige Balance zu finden, unsere Abhängigkeiten von China zu reduzieren und unsere Infrastruktur nicht naiv dem chinesischen Einfluss auszuliefern. Wir müssen feststellen, dass sich China immer aggressiver verhält. Xi Jinping hat mehrfach gedroht, nicht davor zurückzuschrecken, Taiwan militärisch anzugreifen. Drohungen dieser Art sollten wir spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sehr ernst nehmen.
Die ganze Region im Indopazifik bekommt Chinas aggressiven hegemonialen Anspruch zu spüren: Das Land hat inzwischen nicht nur die größte Kriegsflotte der Welt, sondern hat sich auch über die Besitzverhältnisse anderer Länder hinweggesetzt. China erhebt zum Beispiel Anspruch auf die Spratly-Inseln im Südchinesischem Meer, die zu den Philippinen gehören, und nutzt sie als Militärbasis. Das verurteilt auch der Ständige Schiedshof in Den Haag. Dass ein Unternehmen wie BASF trotzdem zehn Milliarden in die Hand nimmt, um in China eine Produktionsanlage zu bauen und zu betreiben, die Kunststoffverbindungen herstellt, finde ich schon krass.
Auch andere deutsche Unternehmen investieren weiterhin in China.
Allein 40 Prozent seiner Gewinne generiert Volkswagen durch das Engagement des Unternehmens auf dem chinesischen Markt. Viel deutsches Know-how wird in China kopiert werden, um unseren Markt in Zukunft mit chinesischen E-Autos zu deutlich günstigen Preisen zu fluten. Ich hoffe, dass deutsche Unternehmen diesen Absatzmarkt und die langfristigen Folgen hinterfragen. Wir werden eine muntere Diskussion führen müssen.
Vertrauen Sie darauf, dass die Unternehmen das tun? Oder bräuchte es nicht mehr Druck vonseiten des Staates?
Ein Unternehmen trägt selbstverständlich die Verantwortung dafür, dass die Geschäfte gut laufen, dass Geld verdient und Arbeitsplätze gesichert werden. Ein Unternehmen muss heute aber mehr denn je auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Geschäfte zu machen, ohne wahrzunehmen, was geostrategisch in der Welt geschieht, das geht heute nicht mehr. Man muss schon im Auge behalten, nicht die zu füttern, die uns am Ende fressen wollen.

„China dürfte zurzeit genau beobachten, dass Russland nicht mal so eben die Ukraine einnimmt“
Glauben Sie, dass es auf China abschreckend genug wirkt, wenn wir uns wirtschaftlich ein bisschen unabhängiger machen? Reicht das?
Zunächst ist es ein ganz wichtiges Signal und macht deutlich, dass wir auch auf die andere Seite der Weltkugel die Lage beobachten. China weiß hoffentlich, dass militärische Drohgebärden gegenüber Taiwan für uns inakzeptabel sind und sie mit Sanktionen rechnen müssen, sollten sie Taiwan angreifen. Nicht nur für den Westen ist der große chinesische Markt interessant, China braucht auch unser deutsches Know-how. China dürfte zurzeit genau beobachten, dass Russland nicht mal so eben die Ukraine einnimmt, wie vor einem Jahr angenommen, sondern sich die Zähne ausbeißt und riesige Verluste an Menschen und Material verzeichnet. China wird sich pragmatisch ausrechnen, wie teuer ein militärischer Einsatz Taiwan gegenüber werden könnte und mit welchen Folgen sie im Anschluss daran für lange Zeit leben müssten.
Braucht es im Umgang mit China nicht aber einen konkreten Fahrplan, an den man sich hält, wenn gewisse rote Linien überschritten werden?
Wir brauchen endlich eine China-Strategie. Es ist doch bizarr: Deutschland treibt seit Jahrzehnten Handel mit China, investiert dort unglaubliche Summen, umgekehrt aber versucht China, mit seinen Unternehmen bei uns Einfluss auszuüben – und trotzdem haben wir überhaupt keine Strategie im Umgang mit diesem Land. Es wird immer aus dem Bauch heraus gehandelt. So kann man keine konsequente Politik machen. Deswegen ist es gut, dass die Ampel eine China-Strategie erarbeiten lässt.
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„Hongkong ist die Negativ-Blaupause für das, was Taiwan drohen könnte“
Der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck hat 2002 gesagt, dass die deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Wie ist das heute – wird unsere Sicherheit auch im Pazifik verteidigt?
Unsere Werte – Freiheit, Demokratie, Menschenrechte – müssen mehr denn je weltweit verteidigt werden. Die Volksrepublik China betrachtet die Straße von Taiwan als Hoheitsgewässer.
Also die Meeresenge, die China und Taiwan voneinander trennt ….
Diese Meerenge ist eine der am dichtesten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Es handelt sich dabei nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen um ein internationales Gewässer. Wenn die Straße von Taiwan von den Chinesen blockiert werden würde, hätte das dramatische Auswirkungen auf den Welthandel und damit auch auf die deutsche Wirtschaft. Deshalb wird auch dort unsere Sicherheit tangiert. Genau wie wir wissen die Menschen in Taiwan, worum es geht: um den Kampf der Systeme Autokratie versus Demokratie. Taiwan hat zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine als eine der ersten Gesellschaften medizinisches Material an die Ukraine geliefert, und die Taiwaner haben viel Geld gespendet. Das ist wirklich bemerkenswert.
Gehört im Umgang mit dem Taiwan-Konflikt nicht auch dazu, dass man nicht nur die Drohgebärden Chinas verurteilt – sondern auch Taiwan davor warnt, sich formell für unabhängig von China zu erklären? Präsidentin Tsai Ing-wen strebt eine Unabhängigkeit an und würde Peking damit einen Vorwand für einen Angriff liefern.
Das zu sagen, ist nicht unsere Aufgabe. Wir respektieren die Ein-China-Politik – aber mit zwei verschiedenen Systemen. Wir sehen heute, dass diese Zusage, die auch für Hongkong nach der Übergabe der einzigen britischen Kronkolonie an China galt, von China nicht eingehalten worden ist. Hongkong ist die Negativ-Blaupause für das, was Taiwan drohen könnte. Das darf nicht passieren.