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Militär, Klima und Ungleichheit: Drei chinesische Herausforderungen – und woran es mangelt

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Von: Christiane Kühl, Nils Tillmann

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China steht vor gigantischen Aufgaben bei Klimaschutz, Stadt-Land-Kluft und seiner Rolle in der Welt. Unsere Daten und Grafiken zeigen, wo das Land gerade steht – und wo es eigentlich hin will.

München/Peking – Wie kann China wirtschaftlich wachsen – aber dabei sein autoritäres Ein-Parteien-System festigen und sich in der Welt behaupten? Diese Herausforderungen haben für Staatspräsident Xi Jinping das letzte Jahrzehnt geprägt. Nun geht es um seine und um Chinas Zukunft: Auf dem 20. Parteitag ab dem 16. Oktober wird er wahrscheinlich zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei gewählt werden.

Eine Montage zeigt den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping vor der Skyline Shanghais. Daneben präpariert eine landwirtschaftliche Arbeiterin ein Bündel Zwiebeln.
Staatspräsident Xi Jinping ist die einflussreichste Figur der chinesischen Politik. Eine Analyse der drei größten Herausforderungen zum bevorstehenden Parteitag. © AFP/Imago/Bruckmann/Litzka (Montage)

Das Datenjournalismus-Team von IPPEN.MEDIA hat anlässlich des Parteitags Daten zu den drei größten Herausforderungen aus Sicht der chinesischen Regierung zusammengetragen: Klimaschutz, soziale Ungleichheit und die Rolle Chinas in der Welt. Und wirft einen Blick in Grafiken und Zahlen darauf, inwieweit die ambitionierten Ziele des Landes überhaupt realistisch sind.

Herausforderung 1: Kann China bis 2050 die Unterschiede zwischen Stadt und Land überwinden?

Moderne Wolkenkratzer und eine wachsende Mittelschicht: In Chinas Großstädten zeigen sich die Folgen des wirtschaftlichen Aufschwungs der vergangenen Jahrzehnte. Im ländlichen China jedoch zeigt sich teils mit einfachen Behausungen und einer veralteten Infrastruktur ein anderes Bild. Neben einem anhaltenden Wirtschaftswachstum hat Xi Jinping deswegen 2021 den Slogan des Gemeinsamen Wohlstands wieder aufleben lassen – und zu einem wichtigen politischen Ziel erklärt. 

Bisher gibt es für diesen Slogan nur ein grobes Ziel. Doch nun soll ein konkreter Plan zur Umsetzung auf dem anstehenden Parteitag folgen. Bekannt ist bereits, dass die Regierung unter anderem die Wohlstandslücke zwischen der ländlichen und städtischen Bevölkerung bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts auf ein laut Xi Jinping „angemessenes Maß“ senken will. Seit Amtsantritt des chinesischen Staatspräsidenten 2012 blieb die Kluft allerdings groß. Beobachter erwarten, dass Xi dies in einer weiteren Amtszeit verstärkt angehen will.

Andere Daten der Weltbank zeigen immerhin, dass sich in der Gesellschaft der Wohlstand insgesamt gleichmäßiger verteilt als noch im Jahr 2010. Der sogenannte Gini-Wert ist jedoch weiterhin deutlich größer als in Ländern wie Japan oder Deutschland. Der viel beschworene Gemeinsame Wohlstand scheint für China also alles andere als sichergestellt zu sein. Denn zusammen mit dem Wirtschaftsboom der frühen 2000er-Jahre stieg auch die Ungleichheit in China deutlich. Auf dem Parteitag in Peking wird sich also erst noch zeigen, was Xi konkret in den nächsten Jahren bei diesem Thema politisch voranbringt.

Herausforderung 2: Kann China bis 2060 klimaneutral sein? Und ist das genug?

Undurchdringlicher Smog und rasant ansteigender CO2-Ausstoß sind die Schattenseiten des extremen Wirtschaftswachstums. Damit ist auch die Umweltpolitik für China zu einem unausweichlichen Thema geworden. Ein großer Teil der chinesischen Wirtschaftsmacht beruht auf der enormen industriellen und oft CO2-intensiven Produktion des Landes. Auch die Energieversorgung hängt zu großen Teilen an klimaschädlichen Kohlekraftwerken.

Vergangenes Jahr hat sich die chinesische Regierung daher ein Ziel gesetzt: Klimaneutralität bis 2060. Außerdem soll der CO2-Ausstoß noch vor 2030 seine Spitze erreichen und danach stetig sinken. Die Ausstöße im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sollen zwischen 2005 und 2030 um zwei Drittel sinken.

Dass China diese Ziele tatsächlich und sogar vorzeitig erreicht, ist inzwischen wahrscheinlich. Dies zeigte jüngst auch eine Analyse des Klimaportals Carbon Brief. Emissionsdaten der Europäischen Kommission zeigen ebenfalls, dass der CO2-Ausstoß Chinas seit 2013 zunehmend abflacht, nachdem diese zuvor rasant angestiegen waren. Seine Spitze könnte er so sogar schon fünf Jahre früher erreichen. Auch bei einem weiteren Zielwert gehen die Dinge laut Weltbank in die richtige Richtung: Im Verhältnis zur steigenden Wirtschaftsleistung ist der CO2-Ausstoß seit 2005 bereits um mehr als 40 Prozent gesunken.

Seine eigenen Klimaziele könnte China also durchaus noch erreichen. Allerdings steht bis zur echten Klimaneutralität eine extreme weitere Reduktion des CO2-Ausstoßes bevor. Außerdem kritisieren Experten, dass die Ziele nicht ambitioniert genug seien. So legt die Analyse von Carbon Brief nahe, dass die Welt insgesamt das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verfehlen wird. Hierfür müsste China viel mehr tun – wie viele andere Länder der Erde auch.

Herausforderung 3: Wird China bis 2049 zu einer globalen Supermacht?

China soll zurück zu alter Größe, das ist die Vision von Staatspräsident Xi Jinping. Seit seinem Amtsantritt 2012 wirbt er mit dem Slogan des sogenannten Chinesischen Traums. Darunter versteht er eine „große Wiederherstellung“ der Nation. Bis zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung der Volksrepublik im Jahr 2049 soll China demnach zu einer globalen Supermacht werden. Was diese Vorstellung konkret bedeutet, ist jedoch unklar. Klar ist hingegen: Wirtschaft und Militär gehören für Xi definitiv dazu.

Aber ist China nicht schon jetzt eine Großmacht auf der Weltbühne? Zumindest das Militärbudget des Landes hat sich Schätzungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI) zufolge seit dem Jahr 2012 mehr als verdoppelt, es stieg auf 293 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Damit ist es das zweithöchste weltweit, jedoch immer noch weit hinter den 800 Milliarden der USA. Auch die internationale militärische Präsenz Chinas in gerade einmal einer Handvoll Ländern wirkt im Vergleich mit den Vereinigten Staaten gering: Diese unterhalten Stützpunkte in 85 Ländern und Territorien weltweit. In den vergangenen Jahren beanspruchte China jedoch zunehmend aggressiv Inseln im Südchinesischen Meer für Militärstützpunkte. Die chinesische Regierung bedroht das Nachbarland Taiwan zudem immer wieder mit ihrer wachsenden Militärmacht.

Im Welthandel hat China die Supermacht USA dagegen teilweise sogar schon überholt. Für insgesamt 42 Länder weltweit war China in den letzten Jahren der größte Zulieferer von Gütern. Das zeigen Zahlen der Welthandelsorganisation WTO. Darunter befinden sich auch große Volkswirtschaften wie Brasilien, Australien und Japan. Und für 30 Länder der Welt war China zusätzlich auch der größte Abnehmer von Gütern.

Dass China im Jahr 2049 militärisch und wirtschaftlich uneingeschränkt eine Großmacht ist, scheint fast unausweichlich. Ob das Land jedoch die größte globale Macht sein wird, ist noch ungewiss.

An gewaltigen Herausforderungen mangelt es China nicht

Wirtschaftswachstum allein wird weniger denn je ausreichen, um die großen Probleme wie Ungleichheit und den Klimawandel zu bewältigen. Und darüber hinaus zeichnen sich sogar noch weitere Herausforderungen für China ab: So will das Land seine Wirtschaft weniger abhängig von Exporten in den Westen machen und zugleich den eigenen Verbrauchermarkt stärken. Beobachter sehen darin auch das Ziel, sich auf einen möglichen Bruch mit dem Westen vorzubereiten.

Weitere Probleme brodeln unter der Oberfläche. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung bereits zu massiver Gewalt gegriffen, um Proteste in Hongkong und ethnische Minderheiten in Xinjiang und Tibet zu unterdrücken. Dabei wurden tausende Menschen getötet, verletzt und interniert. Die massive Anwendung von Staatsgewalt belastet mitunter auch die Beziehung Chinas zu anderen Ländern. Ein Kurswechsel in diesen Themen bleibt jedoch auch in einer weiteren Amtszeit für Xi Jinping unwahrscheinlich. (ck/nt)

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