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Belarus‘ umstrittenes Atomkraftwerk: Gescheitert? Lukaschenko unter Druck

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Von: Aleksandra Fedorska

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Zwei Kühltürme des Atomkraftwerk Ostrowez: Das umstrittene Atomkraftwerk in Belarus.
Zwei Kühltürme des Atomkraftwerk Ostrowez: Das umstrittene Atomkraftwerk in Belarus. © Claudia Thaler/dpa

Der Atomstrom sollte in das Baltikum und nach Polen verkauft werden. Daraus wurde nichts. Jetzt versucht Belarus wichtige Bereiche zu elektrifizieren, um den Strom selbst zu nutzen.

Ostrovets – Die ersten Reaktoren des Atomkraftwerks im belarussischen Ostrovets sind kaum fertiggestellt, da wird schon von einem weiteren Bau gesprochen. Der belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenko hat Ende 2020 erklärt, dass das Land die Kernkraft noch weiter ausbauen möchte, um aus den fossilen Energiequellen auszusteigen.

Ostrovets liegt keine 50 Kilometer von der litauischen Grenze entfernt und weckt Ängste bei den Balten. Die Anlage mit WWER-1200-MW-Druckwasserreaktoreinheiten der neuen russischen Baureihe AES-2006 ist trotz litauischer Sicherheitsbedenken im November 2020 in Betrieb gegangen. Besonders bedenklich waren die Zwischenfälle, die den Bau des AKWs seit 2013 begleitet haben. Im Sommer 2016 kam es zu einem Sturz des Reaktorgehäuses auf den Reaktorboden.

Belarus‘ erstes Atomkraftwerk in Ostrovets: Gescheitert? Lukaschenko unter Druck

Den Zuschlag für den Bau des Kernkraftwerks erhielt das russische Unternehmen Rosatom im Jahr 2011. Russland hatte einen entsprechenden Kredit angeboten, mit dem die Baukosten finanziert werden konnten. Der Kredit soll mit den Einnahmen aus dem Stromverkauf refinanziert werden. Die Heinrich Böll Stiftung geht in ihrer im Februar veröffentlichen Publikation davon aus, dass die Russen etwa 90% der Kosten, also circa 13-14 Milliarden US-Dollar, bewilligt haben. Die Tilgung würde in diesem Fall jährlich 500 Millionen US-Dollar betragen, was für Belarus unter den gegebenen Umständen nur schwer zu realisieren sein wird.

Zum Zeitpunkt des Baubeginns plante Lukaschenko den günstigen Atomstrom ins Baltikum und nach Polen zu exportieren. Die potenziellen Käufer zeigten aber kein Interesse. Denn unter anderem mit einem massiven Ausbau der Offshore-Windenergie bemühen sich Polen und die baltischen Staaten um die Erreichung ihrer Klimaziele - und um mehr Unabhängigkeit von Russland. Litauen hat sogar ein Gesetz erlassen, das den Bezug von elektrischer Energie aus diesem AKW verbietet. Voraussichtlich wird es ab 2025 auch keine technische Möglichkeit mehr geben, das Baltikum mit Strom aus Belarus zu versorgen, denn die drei EU-Staaten werden das ehemalige sowjetische Leitungssystem BRELL verlassen und vollständig mit dem europäischen Netz verbunden sein.

(Ungarn wurde seit 1995 mit Erdgas aus Russland beliefert. Jetzt handelte man einen neuen Vertrag aus. Damit hat sich Ungarn in eine erhebliche Abhängigkeit zu Gazprom begeben.)

Auch, wenn die Stromexporte sich nicht umsetzen lassen, hofft Lukaschenko darauf, andere Vorteile aus dem AKW in Ostrovets ziehen zu können. Belarus kauft Erdgas aus Russland* ein, um seine Energieversorgung und die energieintensive Industrie sichern zu können. Das schafft Abhängigkeiten, die sich von Preisverhandlungsrunde zu Preisverhandlungsrunde mit dem östlichen Nachbarn zuspitzen.

Gegen die Abhängigkeit von Russland – Belarus hat besonders hohen Erdgasverbrauch

Die Heinrich Böll Stiftung geht davon aus, dass Belarus einen jährlichen Verbrauch von 20 Milliarden m3 Erdgas aufweist. Diese Angabe wird von dem polnischen Energieexperten und Redakteur des Energiefachportal Biznesalert Mariusz Marszałkowski bestätigt. Marszałkowski setzt diesen Verbrauch in Relation zur Einwohnerzahl und betont, dass Belarus einen besonders hohen Verbrauch hat. „Der jährliche Gasverbrauch in Belarus, einem Land mit knapp über 9 Millionen Einwohnern, beträgt etwa 20 Milliarden Kubikmeter. Polen verbraucht mit seinen 38 Millionen Einwohnern jährlich rund 17 Milliarden Kubikmeter Gas”, schreibt Marszałkowski.

Lukaschenko könnte diese Abhängigkeit mit eigener Energieherstellung reduzieren beziehungsweise begrenzen. Der jährliche Stromverbrauch des Landes beträgt 36-37 TWh und in Ostrovets können über 40% dieser Strommenge produziert werden. Deshalb versucht Belarus so viele Bereiche zu elektrifizieren, wie nur möglich. Dazu zählt beispielsweise der verstärkte Einsatz für die E-Mobilität und die Förderung der elektrischen Heizungen.

Lukaschenko folgt seit 2018 bei der Förderung der E-Mobilität dem regionalen Vorbild in Sachen E-Mobilität - der Ukraine. Ähnlich wie in der Ukraine wurden auch in Belarus die Steuern auf E-Autos und der Anteil der Umsatzsteuer für den Ladestrom gestrichen. Während aber der Import von gebrauchten E-Autos in der Ukraine boomt, scheut Belarus diesen konkreten Schritt. Die heimische PKW-Produktion ist vorerst auf chinesische Zotye-Modelle Z 200 EV i Z 500 EV begrenzt. Die E-Busse werden vom belarussischen Fahrzeughersteller MAZ produziert, der im letzten Jahr den 303E10 vorgestellt hatte. (Aleksandra Fedorska) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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