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Neuer Asyl-Streit droht: Kretschmann-Ministerin ist sauer auf die EU - Bericht zeigt erstaunliche Zahl

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Von: Florian Naumann

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Hinweisschilder zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge Messstetten Baden Württemberg Deutsch
Hinweisschilder zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Messstetten, Baden-Württemberg. (Archivbild) © imago stock&people/Joachim Röttgers

Asyl-Streit droht: „Wir müssen Menschen unterbringen, die keine Bleibeperspektive haben“, klagt eine Ministerin. Doch die Lage ist komplex - und aktuelle Zahlen zeigen ein weiteres Problem.

Berlin/Stuttgart - Gerade erst hat das Jahr 2022 begonnen - und schon hat Deutschland den ersten Migrationsstreit. Es geht um die Weiterreise Asylsuchender aus anderen EU-Staaten nach Deutschland. Aus Baden-Württembergs schwarz-grüner Regierung kommen Rufe nach neuem EU-Druck auf Länder wie Griechenland und Italien. Zugleich zeigen aktuelle Daten: Die Mehrheit der Asylantragsteller in Deutschland ist zuvor in gar keinem EU*-Transitland registriert worden. Und damit dürfte die Debatte erst an der Oberfläche der Problematik kratzen.

Asyl in Deutschland: Kretschmanns Ministerin klagt - „Diese Menschen haben keine Aussicht auf Schutz“

Marion Gentges (CDU), Justizministerin in Stuttgart, beschwerte sich am Wochenende über die Zustände: Nach Angaben der Ressortchefin waren bundesweit Ende November rund 37.000 sogenannte Sekundärmigranten bekannt - Menschen die in anderen EU-Ländern bereits als Asylsuchende anerkannt worden sind. In Baden-Württemberg seien es 5000 gewesen, sagte Gentges der dpa.

Diese sogenannte Sekundärmigration nach Deutschland ist im EU-Asylrecht nicht vorgesehen, die Menschen können in der Regel aber auch nicht einfach zurückgeschickt werden. „Diese Menschen haben keine Aussicht auf einen Schutzstatus, weil ihnen ein solcher bereits in einem anderen Staat der Europäischen Union zuerkannt wurde“, sagte Gentges. Das Problem: „Wir müssen Menschen unterbringen und versorgen, die keine Bleibeperspektive haben.“ Denn die Flüchtlinge könnten auch im Moment nicht zurückgeschickt werden.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2011 müssen Asylbewerber nicht in ein EU-Mitgliedsland zurück, wenn ihnen dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dies sieht die deutsche Rechtsprechung in Griechenland gegeben. Die Lage scheint gleichwohl noch komplexer.

Migration - Bamf-Zahlen zeigen: Mehrheit der Asylantragsteller war nicht in der EU registriert

Zum einen, weil es offenbar große Lücken bei der Erfassung von Geflüchteten gibt. Wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) berichtete, hatten „2021 bis Ende November 53 Prozent der Erstantragsteller ab 14 Jahren keinen Eurodac-Treffer verzeichnet“. Eurodac ist eine EU-Datenbank zum internationalen Abgleich von Fingerabdrücken von Asylbewerbern. Dadurch sollen Mehrfach-Anträge in verschiedenen Ländern verhindert werden. Laut Bamf wurden bei allen 74.837 Erstantragstellern ab 14 Jahren in Deutschland die Fingerabdrücke mit der Datenbank abgeglichen. Demnach gab es nur bei 35.245 einen Eurodac-Treffer.

Deutschland liegt nicht an den EU-Außengrenzen, daher wäre theoretisch für jeden Flüchtling, der über den Landweg einreist, zunächst ein anderes EU-Land zuständig. Für den innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm CDU), führt die häufig ausbleibende Registrierung „die Dysfunktionalität des Dublin-Systems drastisch vor Augen“. Registrierung und Zurückweisung von weiterwandernden Asylbewerbern seien Grundbedingungen für ein EU-Asylsystem, sagte er der Welt am Sonntag. Die Ampel-Koalition müsse mit aller Konsequenz auf die Einhaltung der Eurodac-Verordnung bestehen, forderte er.

Asyl-Debatte für die EU: Unhaltbare Zustände in Griechenland - Ministerin fordert Unterstützung

Zugleich gilt: Die Verantwortung einfach den Staaten entlang der EU-Außengrenzen aufzubürden, dürfte aber zu kurz greifen - in jedem Fall kurzfristig, wie auch Gentges einräumte. „Migranten werden dort derart schlecht versorgt, dass nicht mal Brot, Bett und Seife gesichert sind“, sagte sie mit Blick auf Griechenland*. „Und in solche Zustände dürfen wir niemanden zurückschicken, diese Rechtsprechung finde ich nachvollziehbar.“

Marion Gentges (CDU)
Marion Gentges (CDU), Justizministerin von Baden-Württemberg, spricht. © Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Nach Auffassung von Gentges muss sich die EU deshalb stärker und mit mehr Druck dafür einsetzen, dass Migranten menschenwürdig versorgt werden. „Das ist ein Armutszeugnis für ein Land in der EU. Da müsste eindeutig mehr Druck ausgeübt werden“, sagte die Ministerin der dpa. „Die Europäische Union muss das Gespräch mit den betroffenen Staaten suchen.“ Negativschlagzeilen gemacht hatte unter anderem das griechische Lager Moria - aber auch anderenorts im Land ist der Umgang mit Migranten nicht direkt menschenwürdig, wie unter anderem Recherchen von Ippen Investigativ im Dezember offenlegten.

Griechenland sei durch seine geografische Lage an der EU-Außengrenze allerdings auch überfordert, räumte sie ein. Es müsse daher ebenso wie Italien durch die Staatengemeinschaft unterstützt werden. Eine schnelle Lösung ist also nicht in Sicht - zumal fraglich ist, ob Italien oder Griechenland allein durch Geldzahlungen zur vollen Verantwortungsübernahme für die Migration über das Mittelmeer zu bewegen wären.

Migration und die Ampel: Experte Knaus forderte neue Abkommen - und eine „Resettlement-Koalition“

Auch der bekannte Migrationsexperte Gerald Knaus sieht große asylpolitische Herausforderungen auf Deutschland zukommen, wie er zuletzt in einem Gastbeitrag für IPPEN.MEDIA erklärte. Knaus, der als Architekt des EU-Türkei-Deals gilt, äußerte allerdings weiterreichende Vorschläge als Druck oder Hilfen für EU-Staaten. Er sprach sich für neue Abkommen mit Mittelmeerländern wie Marokko und Tunesien aus: „Dort sollte die Feststellung des Schutzstatus unter Achtung der Flüchtlingskonvention geschehen.“

Deutschland solle sich weiters dazu verpflichten, forderte Knaus, „jährlich Geflüchtete aufzunehmen, und mit Schweden, Frankreich und Kanada eine globale Resettlement-Koalition ins Leben rufen, die eine Neuansiedlung von Flüchtlingen von mindestens 0,05 Prozent der Bevölkerung zusagt“. Dies seien für Deutschland rund 40.000 Flüchtlinge im Jahr. Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci wies mit Blick auf mögliche Abkommen darauf hin, dass auch in etwaigen Kooperationsländern die Menschenrechte gewahrt sein müssten. Aus der Türkei etwa gab es immer wieder teils erschütternde Berichte.

EU-Asylrecht sieht Länder an Außengrenzen in der Pflicht - Deutschland gilt aber als beliebtes Ziel

Der rechtliche Hintergrund der Debatte in Baden-Württemberg: Eigentlich ist nach EU-Recht meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, den der Schutzsuchende zuerst erreicht hat. Flüchtlinge dürfen aber nach ihrer Anerkennung auch in andere Mitgliedsländer reisen, sich dort allerdings nicht niederlassen oder länger als 90 Tage pro Halbjahr aufhalten.

Bei der Sekundärmigration reisen sie daher legal ein, mit Reisedokumenten, die ihnen zum Beispiel die griechischen Behörden nach Anerkennung ihrer Asylanträge ausgestellt haben. In Deutschland beantragen sie dann aber erneut Asyl - in der Hoffnung auf Zuwendungen und ein dauerhaftes Bleiberecht. Zugleich werden offenbar teils gar keine Daten wie Fingerabdrücke in den Erstankunftsländern aufgenommen.

Deutschland gilt wegen seiner guten Sozialleistungen als besonders beliebtes Ziel. In Griechenland hingegen gibt es keine Grundsicherung wie das deutsche Hartz IV*. Außerdem haben Migranten nur geringe Chancen auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. (dpa/fn/AFP) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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