Dürre in Europa: Jetzt droht auch noch Stromknappheit
Die Dürre in Europa gefährdet jetzt auch die Stromversorgung. Beim Strom könnte es sogar noch schneller eng werden als beim Gas, warnt ein Experte.
München – Die Sommerhitze sorgt nicht nur dafür, dass sich die deutschen Gasspeicher besser füllen – sondern sie bringt auch die europäische Stromversorgung aus dem Gleichgewicht. Hohe Temperaturen und Dürre setzen die Kraftwerke in Europa gleich mehrfach unter Druck.
Experte: „Immense Belastung für Stromerzeugung“
Davor warnt Alexander Weiss, Leiter der globalen Energieberatung von McKinsey im Handelsblatt. „Es ist möglich, dass wir in Deutschland vor einer Gasknappheit noch eine Stromknappheit bekommen“, sagte er der Wirtschaftszeitung. „Es kommen alle denkbaren Faktoren zusammen, die für das Stromerzeugungssystem in Summe eine immense Belastung darstellen.“ Denn: Die Hitze und das Niedrigwasser in den europäischen Flüssen beeinträchtigen nicht nur Atomkraftwerke und Wasserwerke, sondern auch die Stromerzeugung durch Kohle.
Bei der Stromversorgung arbeitet Europa zusammen. Derzeit gibt es aber in mehreren europäischen Ländern, von denen einige auch Deutschland mit Strom beliefern, Probleme bei der Stromerzeugung. Daran ist nicht nur die Hitze und Dürre in Europa schuld, sondern auch, dass einige Regierungen die Energiewende verschlafen haben bzw. sich zu spät um die Wartungsarbeiten oder Modernisierungen ihrer Kraftwerke gekümmert haben.
Frankreich in der Energiekrise: Deutschland hilft beim Strom
Betroffen ist vor allem Frankreich, das bei der Stromerzeugung fast ausschließlich auf Atomkraft setzt. Das eigentlich als zuverlässiger Stromlieferant geltende Land muss nun mehr Strom aus Deutschland importieren als exportieren, was die Strompreise weiter steigen lässt.
Das Problem: Mehr als die Hälfte der französischen Atomreaktoren läuft derzeit nicht. Wie eine Sprecherin des Energiekonzerns EDF der Deutschen Presse-Agentur sagte, sind nur 27 der 56 Meiler verfügbar. Bedingt sei das durch umfangreiche geplante und vorübergehende Instandhaltungsarbeiten, von denen wegen der Corona-Pandemie zuvor einige verschoben werden mussten.
Dazu kommt, dass wegen der anhaltenden Hitze im ganzen Land Wassermangel herrscht und viele AKWs, die noch laufen, aus Sorge um die Kühlwasserversorgung heruntergefahren werden mussten. Denn viele Kraftwerke nutzen das Wasser aus den angrenzenden Flüssen zur Kühlung und leiten es später wieder zurück. Je nach Standort darf das Wasser, das wieder in die Natur zurückgeführt wird, eine bestimmte Temperatur nicht übersteigen, um die Flüsse nicht zu überhitzen. Zwar wurden für immer mehr Atomkraftwerke Sondergenehmigungen für höhere Temperaturen erteilt, doch die Stromversorgungslage ist weiterhin angespannt und Frankreich muss Strom importieren.

Dürre in Europa: Wasserkraftwerke produzieren weniger Strom
Der Wassermangel bremst aber nicht nur die Atomkraftwerke aus, sondern auch die Wasserwerke. Betroffen ist dabei vor allem das durch Dürre und extreme Hitze gebeutelte Italien. Das Land bezieht einen Fünftel seines Stroms aus Wasserkraftwerken, die vor allem in den Bergen Norditaliens zu finden sind. Wasserkraftwerke des von Austrocknung bedrohten Flusses Po mussten ganz abgeschaltet werden. Schon von Januar bis Mai dieses Jahres sei die Stromproduktion aus Wasserkraft um 40 Prozent im Vorjahresvergleich gefallen, teilte der Wasserversorgungsverband Utilitalia auf AFP-Anfrage mit. Der Grund: Im Winter fiel zu wenig Schnee und die immer kleiner werdenden Gletscher geben immer weniger Wasser ab.
Auch hoch im Norden sind die Wasserpegel niedrig: Die Stauseen in Norwegen seien nur zu 68 Prozent gefüllt – also fast zehn Prozentpunkte unter dem normalen Stand zu dieser Jahreszeit, teilt das norwegische Energieministerium laut Handelsblatt mit. Die Wahrscheinlichkeit für einen Strommangel sei aber noch gering. Das Problem: Die Stauseen gelten als Sicherheit für die europäische Stromversorgung, doch nun arbeitet Norwegen an einer Möglichkeit, bei niedrigen Füllständen Stromexporte begrenzen zu können. Das Nachsehen hätten dann die Länder, die den Strom importieren wollen – wie etwa Deutschland.
Laut Eddie Rich, dem Chef des Internationalen Verbands für Wasserkraft, sind mehr Investitionen in Wasserkraftwerke notwendig: „Der größte Teil des europäischen Wasserkraftparks ist über 30 Jahre alt, sodass die Modernisierung bestehender Anlagen ein einfacher erster Erfolg wäre“, sagte er dem Handelsblatt.
Deutschland: Niedrigwasser erschwert Kohletransport
Auch Deutschlands Stromproduktion ist von der anhaltenden Trockenperiode betroffen: Die niedrigen Pegelstände der deutschen Flüsse schränken den Güterverkehr per Schiff stark ein – und auf diesen sind Deutschlands Kohlekraftwerke angewiesen. „Binnenschiffe fahren, wenn überhaupt, zurzeit mit minimaler Auslastung. Ein Umstieg von der Binnenschifffahrt auf Schiene und Straße gestaltet sich in diesem Sommer wegen der Engpässe auf der Schiene, der Corona-Pandemie und des Fahrermangels schwierig“, beschreibt Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, die Lage. „Die politischen Pläne, angesichts der Gaskrise vorübergehend stärker auf Kohle zu setzen, werden von massiven Transport-Engpässen durchkreuzt. Neben dem Kohletransport hängt auch die Kraftstoffversorgung vom Transport über Wasserstraßen ab.“
Das Bundesverkehrsministerium kündigte deshalb am Montag präzisere Vorhersagemodelle an, um Transporte etwa zu Kohlekraftwerken besser steuern zu können. Parallel plant die Regierung zeitnah eine Verordnung zur Priorisierung von Energietransporten. „Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir uns langfristig aufgrund des Klimawandels immer wieder auf extreme Niedrigwasser-Situationen einstellen müssen“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) der Rheinischen Post. Künftig könne sich das Problem daher noch verschärfen.
Immerhin gibt es bei der europäischen Stromversorgung einen Lichtblick: Der Strommangel in Frankreich wird gerade vor allem über Photovoltaikstrom aus Deutschland abgefangen. Dieser hat in den vergangenen Wochen Spitzenwerte erreicht und Frankreichs magere Atomstromproduktion in den Schatten gestellt. Ganz auffangen kann Photovoltaikstrom den Bedarf aber nicht. Das Problem in Europa: Nicht nur Frankreich und Deutschland haben den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht energisch genug vorangetrieben und gleichzeitig die alten Kraftwerke entweder nicht modernisiert oder sogar stillgelegt. (lma/dpa/AFP)