Europas Firmen in China ächzen unter Null-Covid-Politik – Handelskammer befürchtet leere Regale in Europa

Chinas Wirtschaft leidet unter der Null-Covid-Politik. Auch fast alle europäischen Firmen haben nach einer aktuellen Umfrage große Probleme mit ihrem Geschäftsalltag. In Europa drohen bald leere Einkaufsregale
Peking/München – Null Covid und kein Ende: In China macht sich die Sorge vor weiter steigenden Belastungen für die Wirtschaft durch immer neue Lockdowns und endlose Testserien breit. Das erfasst auch die ausländischen Unternehmen immer stärker. Eine neue Blitzumfrage der EU-Handelskammer (EUCCC) in China zeigt, dass praktisch alle europäischen Unternehmen von der Null-Covid-Politik betroffen sind – und zwar in einem enormen Ausmaß. Für drei Viertel der Befragten haben sich die Corona-Maßnahmen negativ auf ihren Gesamtbetrieb ausgewirkt. 92 Prozent melden gestörte Lieferketten.
Und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Immer wieder betonen Regierungsvertreter, an der strikten Coronapolitik festzuhalten. Es sei gut möglich, dass China erst als letztes Land der Welt aus der Corona-Pandemie herausfindet, sagte EUCCC-Präsident Jörg Wuttke am Donnerstag in Peking bei der Präsentation der Umfrage. Es ist eine ernüchternde Erkenntnis.
Viele Unternehmen kämpfen laut der Umfrage mit den einfachsten Aufgaben. Sie wissen an einem Tag nicht, ob sie am nächsten noch genug Personal zur Verfügung haben, um den Betrieb aufrechtzuerhalten – oder ob ihre Räumlichkeiten vielleicht plötzlich ganz geschlossen werden. 85 Prozent melden laut der Umfrage Schwierigkeiten beim Zugang zu Rohstoffen oder Komponenten. Beim Vertrieb das gleiche trübe Bild: 87 Prozent haben Schwierigkeiten, ihre fertigen Produkte innerhalb Chinas auszuliefern, und 83 Prozent haben Schwierigkeiten beim Export in den Rest der Welt. Weit über 90 Prozent haben Probleme mit Logistik und Lagerhaltung.
Chinas Null-Covid-Politik: Gefahr für den Welthandel
Die Firmen bräuchten eine neue Covid-Politik in China, so Wuttke. „Es ist so ein wichtiger Markt für uns.“ China sei 2021 für 19 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums verantwortlich gewesen. 13 Prozent des Welthandels entfallen auf das riesige Land. Daher werden laut Wuttke auch deutsche Verbraucher demnächst die Konsequenzen der Lockdowns zu spüren bekommen. Wuttke rechnet vor: 35 Tage benötigen Seeschiffe normalerweise für die Reise von Fernost nach Europa. Der Beginn des Lockdowns von Shanghai – und damit seiner Häfen – ist nun fast 35 Tage her. Demnach kommen also in diesen Tagen die letzten Schiffe an, die vor dem Lockdown von dort losgefahren sind. Seither hat sich vor Shanghai wieder ein riesiger Schiffsstau gebildet. „Vor Shanghai liegen drei Prozent der weltweiten Schifffahrt fest“, sagte Wuttke. Das habe Folgen für die Einkaufsregale in Europa.
Logistiker bestätigen die Probleme. „In den USA und Europa sehen wir bereits einige Engpässe. Waren, die die Menschen brauchen, stecken auf Booten fest, die bereits als ‚schwimmende Lagerhäuser‘ bezeichnet werden“, sagt Chris Rogers, Ökonom beim digitalen Spediteur Flexport, zu Merkur.de. „Die Zeit auf See hat sich stark verlängert. In der vergangenen Woche waren es im Schnitt 120 Tage.“ Bei Computern und Autoteilen wickelt Shanghai laut Rogers jeweils gut 10 Prozent der chinesischen Exporte des jeweiligen Sektors aus. Bei Halbleitern beträgt der Anteil Shanghais fast 20 Prozent. „Daher stellt der Engpass für Exporteure all dieser Waren ein ernstes Problem dar.“ Je länger der Lockdown dauere, desto länger brauche auch das Aufholen danach, so Rogers. „Das bedeutet, dass die Nachholzeit im Juli und August näher an die Hauptversandzeit heranrücken wird. Zu dieser Zeit werden Waren zur Hochsaison der Exportmärkte für die Feiertage im November und Dezember versandt.“

Der Handel zwischen Deutschland und China betrug 2021 nach Daten des Statistischen Bundesamtes rund 245 Milliarden Euro. Die Volksrepublik ist für viele deutsche Konzerne ein enorm wichtiger Wachstumsmarkt; viele verdanken dem erfolgreichen Geschäft im stabil und stetig wachsenden China seit Jahren ihre guten Geschäftsabschlüsse. Und nun?
Null-Covid: Ungewissheit ist größtes Problem
„Wir wissen noch nicht, welche Schäden Null-Covid der Wirtschaft zufügen wird“, sagte Wuttke. „Die Vorhersagbarkeit des chinesischen Marktes ist verschwunden.“ Damit habe China eine seiner größten Stärken verloren. Die Unsicherheit über die Zukunft ist laut der Kammer das größte Problem für die Firmen. Fast 60 Prozent der Befragten erwarten für 2021 nun einen Umsatzrückgang. „Derzeit scheint es, dass China seinen eigenen Wachstumskurs auf Eis legt“, so Wuttke. „Und das ist schlecht für die gesamte Welt.“
Shanghai ist ja beileibe nicht die einzige Stadt Chinas, in der Lockdowns und andere Beschränkungen gelten. China verhängte seit Anfang 2022 laut EUCCC Einschränkungen in mindestens 45 großen Städten – die zusammen 40 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts mit einer Gesamtbevölkerung von 370 Millionen Menschen ausmachen. Derzeit droht ein Lockdown für die Hauptstadt Peking, die bereits mehrere Wohnanlagen abgeriegelt hat und die gesamte Bevölkerung testet.
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Wie schnell sich die Lage binnen weniger Wochen verschlechtert hat, zeigt ein Vergleich der EUCCC-Umfrage mit einer ähnlichen Blitzumfrage der deutschen Außenhandelskammer in China (AHK) von Anfang April. Damals, nur wenige Tage nach Beginn des noch immer geltenden Lockdowns in Shanghai, gaben 51 Prozent der befragten deutschen Firmen „eine vollständige Störung oder schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Logistik und Lagerhaltung“ an. 46 Prozent meldeten eine ebensolche Störung für ihre Lieferketten. Nun sind es fast alle.
91 Prozent der EU-Firmen wünschen sich laut der neuen Umfrage einen stärkeren Fokus auf eine Impfkampagne statt der endlosen Testreihen. 75 Prozent gaben an, sie wollten generell eine andere Corona-Politik. Doch Wuttke erwartet vorerst kein Ende der Null-Covid-Strategie. Zu sehr hat sich die Kommunistische Partei Chinas dieser Strategie verschrieben, die bislang ja auch durchaus als Erfolg gewertet werden kann. Nur bei der hochansteckenden Omikron-Variante funktioniert sie eben nicht mehr. „China riskiert es, Opfer seines eigenen Erfolges zu werden“, sagte Wuttke. „Die Politik war stolz auf ihre Erfolgsgeschichte, aber jetzt wirkt China wie ein Nachzügler.“ Die Firmen müssen es ausbaden. (ck)